In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
erworbenen Wohlstands, Autohupen blöken, während ein Bürger in Dockers vorbeigeht und seinem Handy erklärt, »genauso sollen sie doch sein«.
Peter steigt die Treppe zum Röhren des einfahrenden Zugs hinab.
Bette sitzt bereits an ihrem Platz, als er eintrifft. Peter folgt der Hostess durch das dunkelrote pseudoviktorianische Interieur des Jojo. Als Bette Peter sieht, bedenkt sie ihn mit einem Nicken und einem ironischen Lächeln (Bette, ein ernster Mensch, würde nur winken, wenn sie am Ertrinken wäre). Das Lächeln ist ironisch, vermutet Peter, weil, nun ja, weil sie hier sind, auf ihr Geheiß, und sicher, das Essen ist gut, aber andererseits sind da die Randlage und die kleinen o-beinigen Tische. Es ist ein Bühnenbild, es ist schrullig , um Gottes willen, aber Bette und ihr Mann Jack haben seit Ewigkeiten ihre geerbte, aus der Vorkriegszeit stammende Sechszimmerwohnung an der York Avenue, Ecke Eighty-fifth Street, er hat ein Professorengehalt, sie ein mittelprächtiges Einkommen als Kunsthändlerin, und scheiß auf jeden, der sie verspottet, weil sie nicht in Downtown in einem Loft an der Mercer Street wohnt, in einer Gegend, in der die Restaurants cooler sind.
Als Peter an den Tisch kommt, sagt sie: »Ich kann kaum glauben, dass ich dich hierher zitiert habe.«
Ja, sie ist tatsächlich gereizt, weil … er sich bereit erklärt hat zu kommen? Weil es ihm gut geht (relativ gesprochen)?
»Ist schon gut«, sagt er, weil ihm nichts Schlaueres einfällt.
»Du bist ein liebenswürdiger Mann. Kein netter Mann, die Menschen neigen dazu, das zu verwechseln.«
Er setzt sich ihr gegenüber. Bette Rice: eine Naturgewalt. Silberner Bürstenschnitt, strenge Brille mit schwarzem Gestell, Nofretete-Profil. Sie ist dafür geschaffen. Die Tochter linksgerichteter Juden aus Brooklyn, mag mit Brian Eno gegangen sein oder auch nicht, hat eine gute Geschichte darüber zu bieten, wie ihr Rauschenberg ihre erste Diet Coke gab. Wenn er mit Bette zusammen ist, kann sich Peter vorkommen wie der nicht ganz so helle Highschool-Sportnarr, der dem klugen, taffen Mädchen Avancen macht. Kann er etwas dafür, dass er in Milwaukee geboren ist?
Sie wirft einer Bedienung einen Laserblick zu, sagt: »Kaffee«, ohne sich darum zu scheren, dass ihre Stimme lauter ist als nötig, dass eine perfekt Blondierte in den Sechzigern vom Nebentisch herüberschaut.
Peter sagt: »Ich hoffe doch, du willst über Elena Petrovas Brille reden.«
Sie hebt eine schlanke Hand. An einem der drei silbernen Ringe, die sie trägt, ist eine Klaue, wie ein unbekanntes Foltergerät.
»Mein Engel, das ist lieb von dir, aber ich werde dich nicht mit langem Vorgeplänkel aufhalten. Ich habe Brustkrebs.«
Dachte er, er hätte sie davor bewahren können, weil er damit gerechnet hat?
»Bette -«
»Nein, nein, sie haben ihn gekriegt.«
»Gott sei Dank.«
»Was ich dir eigentlich erzählen will, ist, dass ich die Galerie schließe. Sofort.«
»Oh.«
Bette schenkt ihm ein schmales Lächeln, tröstend, mütterlich sogar, und er muss daran denken, dass sie zwei erwachsene Söhne hat, von denen keiner besonders verkorkst ist.
Bette sagt: »Sie haben ihn diesmal gekriegt, und wenn er wiederkommt, werden sie ihn beim nächsten Mal wahrscheinlich auch kriegen. Ich werde nicht sterben, nicht einmal annähernd. Aber es gab einen Moment. Als ich erfahren habe, was es ist, und du weißt ja, dass meine Mutter -«
»Ich weiß.«
Sie bedenkt ihn mit einem direkten, ernüchternden Blick. Bemüh dich nicht zu sehr darum, bei dem hier gut zu sein, okay?
Sie sagt: »Ich war weniger erschrocken als sauer. Die Galerie war in den letzten vierzig Jahren mein ganzes Leben, und offen gestanden hatte ich sie in den letzten zehn Jahren satt. Und jetzt geht alles zum Teufel, und alle sind pleite … Jedenfalls. Einer meiner ersten Gedanken war: Wenn mich das nicht umbringt, werden Jack und ich ein anderes Leben anfangen.«
»Und deshalb -«
»Wir wollen in Spanien leben. Die Jungs kommen zurecht, und wir werden uns irgendwo ein kleines, weiß getünchtes Haus suchen und Tomaten ziehen.«
»Du machst Witze.«
Sie lacht, ein dunkler, kehliger Laut. Sie ist eine der letzten lebenden Raucherinnen in Amerika.
»Ich weiß«, sagt sie. »Ich weiß. Vielleicht langweilen wir uns zu Tode. Dann verkaufen wir das gottverdammte kleine, weiß getünchte Haus und machen etwas anderes. Ich will bloß das hier nicht mehr machen. Jack hat die Columbia ebenfalls satt.«
»Na, dann alles Gute
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