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In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

Titel: In die Nacht hinein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cunningham
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für die Reise.«
    Die Bedienung bringt Peters Kaffee, fragt, ob sie schon Zeit hatten, die Speisekarte zu studieren, was sie nicht hatten. Sie sagt, sie kommt wieder vorbei. Sie ist ein stämmiges Mädchen mit einem süßen Gesicht und einem Georgia-Akzent, die vielgeliebte Tochter von jemandem, vermutlich neu in New York, entschlossen zu singen, Schauspielerin zu werden oder was auch immer, superfreundlich, darum bemüht, als Kellnerin so gut zu wirken, wie sie kann, ganz davon zu schweigen, dass jemand, der es sich leisten kann, in diesem historischen Moment in ein Lokal wie das Jojozu kommen, eindeutig so etwas wie ein Prominenter sein muss.
    Bette sagt: »Ich möchte die Kunst wieder lieben.«
    »Ich glaube, ich weiß, was du meinst.«
    »Wer nicht? Das ganze Geld …«
    »Ich weiß. Und jetzt ist mit einem Mal nichts mehr da. Geld, meine ich.«
    »Ein bisschen ist noch da.«
    »Tja, ja. Ich meine, hoffentlich stimmt das …«
    »Und es scheint so, als ob wir alle vom Kampf ums Überleben schnurstracks in die Liga der Halbetablierten und Unerheblichen gewechselt sind.«
    Ein ganz kurzer innerer Aufruhr. Wir alle? Verzieh dich, du mistiger Todesengel. Ich bin nicht vom Scheitern befallen.
    Sie sagt: »Ich meine nicht dich, Peter.«
    Was musste man ihm gerade am Gesicht angesehen haben?
    »Nein?«
    »Ich bin unbeholfen, nicht wahr? Ich bin unerheblich. Du bist einer der ganz wenigen anständigen und ernsthaften Leute da draußen. Alle anderen sind, du weißt schon. Entweder ein Neunzehnjähriger, der in seinem Apartment in Bedford-Stuyvesant das Zeug seiner Freunde verkauft, oder sie verarschen Mobil Oil.«
    »Tja, ja. Ich weiß.«
    »Hast du es nicht einmal ein bisschen satt?«
    »Manchmal«, sagte er.
    »Du bist noch jung.«
    »Vierzig ist nicht jung.«
    Hm, ein paar Jahre unterschlagen, nicht wahr?
    »Ich habe es noch niemandem erzählt«, sagt sie. »Dass ich aufhören will, meine ich. Ich habe dich angerufen, weil ich dachte, du willst vielleicht Groff übernehmen. Und vielleicht ein, zwei andere. Aber du magst Groff, stimmt’s?«
    Rupert Groff. Nicht unbedingt Peters Ding, aber jung und im Kommen. Bette ist vor zwei Jahren durch Glück an ihn geraten, als sie in Yale einen Vortrag hielt. Sobald sie bekannt gibt, dass sie ihre Galerie schließen will, wird er derjenige sein, hinter dem alle her sind.
    »So ist es«, sagt Peter.
    Er mag Groff einigermaßen, und wirklich, das ist jemand, der richtig Geld einbringen könnte.
    »Ich glaube, du würdest am besten zu ihm passen«, sagt Bette. »Ich habe Angst, dass ihn sich einer der Riesen schnappt und ihn ruiniert.«
    »Ein Drama.«
    »Spiel nicht den Dummen.«
    »Bitte tausendmal um Vergebung.«
    »Die werden ihn dazu drängen, seine Arbeiten in Gold zu machen, die werden ihn hochjubeln, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird er mit dreißig erledigt sein.«
    »Oder eine Retrospektive im Whitney haben.«
    »Einige von diesen Kids sind früh fertig. Er nicht. Er entwickelt sich noch. Er braucht jemanden, der ihn drängt, aber auf die richtige Art und Weise.«
    »Und du meinst, ich bin derjenige.«
    »Ich will damit sagen, dass ich dich nicht für ein Arschloch halte.«
    Ich weiß nicht, Bette. Ich bin nicht so groß wie manch anderer, ich bin nicht so reich, und wenn das heißt, dass ich kein Arschloch bin, na schön.
    »Ich denke gern, dass ich keins bin«, sagt er. »Wie kommst du darauf, dass Groff zu mir will?«
    »Ich werde mit ihm reden. Danach kannst du mit ihm reden.«
    »Wie ist er?«
    »Süß. Ein bisschen einfältig. Überhaupt nicht abgebrüht.«
    Die Bedienung kehrt zurück und fragt, ob sie dazu gekommen sind, sich die Speisekarte vorzunehmen. Sie entschuldigen sich und versprechen, einen Blick hineinzuwerfen, sich in zwei Minuten zu entscheiden, und genau das tun sie. Wer würde diesem zauberhaften, ernsten Mädchen, das so weit von zu Hause weg ist, nicht das Gefühl geben wollen, es könne eine New Yorker Bedienung darstellen?
     
    Eine Stunde später laufen Peter und Bette durch die große Halle des Metropolitan Museum of Art, dieses prachtvollen, verschlafenen Portals in die zivilisierte Welt. Warum seine Selbstgefälligkeit leugnen – seine elefantenartige Gelassenheit, die Fähigkeit, die Moleküle seiner eigenen Luft mit einem Gefühl der Ehrfurcht, königlichem Glanz und dem jahrhundertelangen Plündern von fünf Kontinenten zu stimulieren? Die Halle empfängt einen mit großer Geduld. Sie ist die Mutter, die niemals sterben wird, und

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