In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
irgendetwas Kleinem, aber Perfektem und Unvergänglichem auf Bachsche Art. Das ganze Haus ist perfekt, und deshalb auch leicht unheimlich, bis auf das hier, das Wohnzimmer, das so herrlich ist, dass es seine eigene Anmaßung überwindet, mit seiner Wand aus Glastüren, die auf die von einem Rosendickicht gesäumte Grasfläche führen (den Long Island Sound sieht man hier nicht), als ob die Natur selbst (okay, die besseren Teile der Natur) aus einer Reihe von Räumen bestünde, nicht unähnlich demjenigen, in dem man steht – Räume unter freiem Himmel, mit grasgrünen Teppichen, Deckenwolken von Michelangelo und blühenden dunkelgrünen, rauschenden Wänden. Und dann natürlich auf dieser Seite der Sprossentüren die Entsprechung zum Garten: zwei mit zinnfarbenem Samt bezogene Jean-Michel-Frank-Sofas zu beiden Seiten eines Diego-Giacometti-Tisches, der wirklich in einem Museum stehen sollte, spindeldürre Lampen und wuchtige Lampen und ein angelaufener Spiegel mit Holzrahmen (kein Gold, Gold ist hier verboten), der auf dem Sims des schmucklosen Kalksteinkamins lehnt, nicht darüber hängt; und an der einen fensterlosen Wand die absolute Krönung, das Bild von Agnes Martin, das den Raum beherrscht wie ein göttlicher Besucher, der offenbar zufrieden ist mit diesen Opfergaben, den von Genies geschaffenen Sofas und Tischen, den Bücherstapeln, der Schar glasäugiger hölzerner Heiliger, den japanischen Vasen voller Rosen (gelb fürs Wohnzimmer), den Regalen voller diverser Sammlungen (Déco-Keramiken, aus Holz geschnitzte Dogon-Figuren, antike mechanische Spardosen aus Gusseisen) und der riesigen Ebenholzschale, die zurzeit mit Persimonen gefüllt ist. In diesem Zimmer hat man selbst bei Tageslicht das Gefühl, als flackerten knapp außer Sichtweite Kerzen. Es duftet (wirklich, es ist ein Spray) nach Lavendel.
»Ich nehme an, meine Leute sind hier«, sagt Peter.
»Ja, sie stellen gerade die Vase auf.«
Peter merkt, dass sie es nicht gutheißt – um ihr Kinn strafft sich etwas. Mag sie die Groffsche Vase nicht oder Kunst im Allgemeinen? Oder, okay, denk dran – du, Peter, bist derjenige, der versucht hat (erfolglos, wie sich herausstellt), ihrer Chefin für ein kleines Vermögen einen Ball aus Teer und Haaren zu verkaufen. Svenka, kann ich es dir wirklich verübeln?
»Ich sage Carole, dass Sie hier sind«, sagt sie und zieht sich zurück.
»Hübsches Zimmer«, sagt Missy, als sie weg ist. Er meint es nicht ironisch, oder? Nein. Peter hat vermutlich zu lange unter Leuten gelebt, die Ironie fließend beherrschen.
»Die Potters sind ziemlich gut bei dem, was sie machen.«
»Was genau machen sie?«
»Tja, ihre Hauptaufgabe besteht eigentlich darin, soweit das irgendjemand sagen kann, die Potters zu sein. Das Geld kommt von Wäschereien und Reinigungen, aber Carole und ihr Mann haben damit nichts zu tun. Sie streichen einfach, du weißt schon. Die Schecks ein.«
Carole kommt herein (o Gott, sie hat das nicht gehört, oder?) und wirkt wie immer leicht gehetzt und gleichzeitig entschuldigungheischend. Das ist, wie Peter gelernt hat, eine der Gepflogenheiten. Sie ist nie sofort zu sprechen, selbst wenn der jeweilige Besucher genau zur vereinbarten Zeit kommt. Der Besucher wird immer von Svenka oder einem anderen Mitglied der Familie hereingeführt und muss kurz in diesem spektakulären Zimmer warten, bis Carole auftaucht. (Wie viel Lebenszeit verbringt Peter damit, auf den Auftritt anderer Leute zu warten?) In Caroles Fall geschieht das, soweit Peter feststellen kann, aus mehreren Gründen. Da ist das schlichte theatralische Element – und jetzt die Dame des Hauses! Und es muss klargemacht werden, dass Carole beschäftigt ist, dass es ihr schwerfällt, sich selbst für sehnlichst erwartete Gäste Zeit zu nehmen.
»Hallo, Peter, sorry, ich war draußen und habe deinen Männern beim Aufstellen der Vase zugesehen.«
Carole ist eine blasse, sommersprossige und blinzelnde Frau, die immer etwas Kleines und Wunderbares im Mund zu haben scheint, einen runden Kiesel aus dem Himalaja, eine Perle, was es ihr ein kleines bisschen schwermacht, deutlich zu sprechen, aber gleichzeitig den Eindruck vermittelt, dass sie für den winzigen kostbaren Gegenstand, der hinten auf ihrer Zunge liegt, die genaue Aussprache dankbar geopfert hat. Sie hat eine Vorliebe für weiße, ziemlich rüschige Blusen (sie trägt jetzt eine), die vage an Barbara Stanwyck erinnern, was nicht unbedingt der Kleidung entspricht, die man bei jemandem
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