In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
weißt du doch, oder?« »Tja, ja, gewissermaßen«, antwortet Peter. »Glaubst du nicht, ich hätte gern ein Rezept für irgendwas, das mich für immer zum guten Ethan macht?«
Wie kann er so überzeugend wirken und gleichzeitig so danebenliegen? Was soll Peter jetzt zu ihm sagen?
»Glaubst du, du hast es wirklich versucht?«, sagt er schließlich.
Falsche Reaktion. Er erkennt es daran, wie sich etwas in Missys Miene zurückzieht – ein eindringliches Leuchten, das schummrig wird.
»Vielleicht mache ich mir was vor«, sagt Missy. Seine Stimme ist jetzt flacher, gewöhnlicher. Er ist ein bisschen nüchterner geworden. »Aber ich glaube wirklich und wahrhaftig, nein, ich denke, ich weiß , dass ich bereit bin, erwachsen zu werden. Ich will einen Job, ich will ein Apartment, ich will eine feste Freundin. Es ist bloß. Ich kann das bloß auf dem Weg erreichen, der für mich der richtige ist. Wenn Becka und Julie und Rose sich einmischen und mich in einer Klinik unterbringen, hau ich mit Sicherheit wieder ab. Diese Kliniken sind übrigens der Horror. Vielleicht gibt es welche für Reiche, die besser sind, aber diejenigen, die wir uns leisten können, in die sie mich schicken … tja, aus denen würdest auch du flüchten wollen.«
»Du glaubst also …«
»Ich glaube, dass ich so bereit bin wie nie zuvor, ein richtiges Leben zu führen, es müssen mich bloß alle auf meine Weise machen lassen.«
Lügt er? Macht er sich etwas vor? Könnte es sein, dass er recht hat und alle anderen sich irren?
Sie steigen in Greenwich aus, und da ist Gus, der Fahrer, ein beflissen dreinblickender Mann um die dreißig, ein Kleinstädter (nimmt Peter an) aus einem dieser Weiler von Connecticut, die die örtliche Oberschicht mit, nun ja, Leuten wie Gus versorgen. Die Welt ist voller Guses – gut aussehenden Jungen und Mädchen, die von ihren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern das beste genetische Blatt bekommen haben, Menschen, denen es über Generationen hinweg weder gut noch schlecht gegangen ist, die diese anständigen Kinder gezeugt und ihnen gerade so viel mitgegeben haben, dass sie in der Welt überleben können, aber nicht mehr – keine spektakuläre Schönheit, keine unbezähmbare Genialität, keinen königlichen, unaufhaltsamen Ehrgeiz.
Ist es nicht die Aufgabe der Kunst, diese Leute zu feiern, sie zu adeln? Man denke an Olympia. Ein Straßenmädchen wird zur Gottheit.
Und hier, neben dem marineblauen BMW der Potters, steht Gus, grinsend, rotgesichtig, mit abstehenden Ohren, ein Mann, den man einfach mögen muss. Hat Carole nicht gesagt, dass er mit einem, wie sie es bezeichnete, »zauberhaften einheimischen Mädchen« verlobt ist? Na schön, es ist herablassend, dieses Wort »einheimisch«. Aber gleichzeitig muss gesagt werden, dass die Potters ihr Personal besser bezahlen, als es der Brauch erfordert, dass sie ihnen einen richtigen Urlaub gewähren und nicht erwarten, dass sie ohne zusätzliche Vergütung übermäßig schwer oder lange arbeiten. Die Potters sind von der alten Schule, nach dem Motto »Unser Personal gehört zur Familie«, was auf seine Art grotesk ist, aber wirklich, wie kann jemand Personal haben und sich nicht zumindest ein bisschen grotesk benehmen?
»Willkommen, Mr. Harris«, sagt Gus und marschiert mit kräftiger, ausgestreckter roter Hand auf sie zu.
»Danke, Gus. Das ist Ethan.«
Gus schüttelt Peter die Hand, dann Missy, sagt: »Willkommen«, dreht sich um und öffnet für Peter und Missy die Hintertüren des BMW. Gus, der Fahrer, im Begriff, ein bezauberndes einheimisches Mädchen zu heiraten. Gus, der Fahrer, ist überall und taucht doch nirgendwo auf, nicht auf Porträts oder Fotografien, nicht einmal in den Geschichten von Männern wie Donald Barthelme und Raymond Carver, denen es stets um Typen wie Gus mit Jobs und Perspektiven ging, aber die auf wesentlich mehr Kummer, mehr Angst bestanden, als Gus je vorweisen könnte. Falls Gus manchmal grundlos weint, falls er verzweifelnd im Gang eines Wal-Mart steht, offenbart es sich nicht in seinem täglichen Auftreten, und Peter hat den starken Verdacht, dass er einfach nicht so ein Typ ist, was nicht heißen soll, dass es ihm an Seele oder Tiefgang mangelt, sondern dass man eine größere Operation vornehmen müsste, um hinter den fröhlichen Burschen zu gelangen, den guten Kerl, der seinen Job einfach mag, sein Auto und sein Apartment mag und die Hobbys und Aktivitäten, die ihn an den Wochenenden in Beschlag nehmen, der bereits dick
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