In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Kreuz um ihren Hals heftig hin und her schaukelte. »Stalkst du mich oder was?!«, herrschte sie mich an.
So viel zum Thema mehr Glück.
Ich spürte, wie ich rot anlief, packte den Gurt meines Rucksacks fester und trat einen Schritt zurück.
Abrupt wandte sich Goth-Girl um und kramte wortlos in ihrem Schließfach herum, bis sie von einer Sekunde zur nächsten förmlich versteinerte. Genau dieselbe Sekunde, in der mir ein kühler Luftzug über den Nacken strich und ein kribbelnder Schauder den Rücken herunterlief. Ich drehte mich um und entdeckte den Jungen mit den veilchenblauen Augen, der mitten im Korridor stand, die Hände in den Hosentaschen, und uns mit einem spöttischen Zug auf dem mausigen Gesicht fixierte.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich bei Goth-Girl, als ich mich ihr wieder zuwandte. Obwohl ich klar erkennen konnte, dass bei ihr gar nichts in Ordnung war. Mit leicht geöffnetem Mund atmete sie nur noch flach, ihre Augen waren aufgerissen, und sie zitterte. Dann kapierte ich es und es war wie ein Schlag in die Magengegend.
»Er tut dir nichts«, raunte ich ihr zu. »Er will dir nur Angst einjagen, sonst nichts.«
Goth-Girl rührte sich einige Augenblicke lang nicht; dann drehte sie den Kopf in meine Richtung und starrte mich an. »Du kannst ihn auch sehen?«, hauchte sie. Ich nickte und ihre Augen glänzten nass auf. »Du … du kannst ihn wirklich sehen.« Sie schluchzte auf und legte eine schlackernde Hand vor den Mund; eine dicke Träne rollte über ihre Wange und hinterließ eine dunkle Spur in dem Puder auf ihrer Haut.
»Magst du ein Stück?« Ich hielt ihr die Schokolade hin. »Ich bin übrigens Amber.«
»Mhhh«, machte Abby mit vollem Mund und rollte genießerisch mit den Augen. »Die ist aber mal lecker!«
»Ich weiß«, nuschelte ich vergnügt, ebenfalls den Mund voll mit der zart knuspernden Japonais -Schokolade.
Seit Goth-Girl begriffen hatte, dass der Junge mit den veilchenblauen Augen nicht ihrer Einbildung entsprungen war, hatte sie nicht nur dankbar meine Schokolade angenommen, sondern auch begonnen, normal mit mir zu reden. Inzwischen wusste ich, dass sie Abby hieß – eigentlich Abha, Abha Ratnalikar – und als Freshman ein Jahr unter mir war. Ihre Eltern betrieben zwischen Union Square und Market Street, in einer kleinen Seitenstraße ganz in der Nähe des Cable Car Turnaround, ein indisches Restaurant, das (natürlich, wie auch sonst) Taj Mahal hieß, und ihr großer Bruder Manish studierte Mathe und Physik in Berkeley. Sie geriet ganz aus dem Häuschen, als ich ihr erzählte, dass ich aus Deutschland kam, weil sie ein großer Fan von Rammstein war und von Unheilig, die sie aus dem Netz kannte, und sie war enttäuscht, als ich gestehen musste, Den Grafen noch nie live erlebt zu haben. Genau wie ich mochte sie HIM , Evanescence und Nightwish und legte mir in Form einer gebrannten CD eine verdammt gute schwedische Metal-Band namens All Ends ans Herz. Trotzdem nickte sie mir mittags in der Cafeteria nur kurz zu und pickte sich zwischen den ganzen anderen Schülern einen Platz möglichst weit von dem Tisch entfernt heraus, an dem ich mit Matt und neuerdings auch mit Shane saß. Und jedes Mal wenn Matt mit breitem Grinsen auf uns zukam, schnappte in Abby etwas zu; hektisch stopfte sie dann ihre Sachen in die Schultertasche, schlug die Tür zu ihrem Spind zu und warf mir ein schnelles Bye hin, bevor sie das Weite suchte.
»Hast du nachher eigentlich noch was vor?«, fragte ich sie betont nebensächlich. Der Memorial Day, der Feiertag Ende Mai zum Gedenken an die für die Vereinigten Staaten gefallenen Soldaten, stand vor der Tür, und damit der Beginn der Sommerferien hier am Unified School District von San Francisco. Und ich fand es schade, dass ich Abby deshalb wahrscheinlich die kommenden dreieinhalb Monate gar nicht mehr sehen würde.
Ihre Augen weiteten sich. »Wieso?«
»Ich treff mich gleich noch mit Matt«, erklärte ich. »Magst du vielleicht mitkommen? Auf einen Kaffee oder so?«
Abbys Augen wurden schmal. »Lass mal. Triff du dich mit deinem Freund, wir sehen uns ja morgen wieder.«
Verblüfft starrte ich sie an. Sie hatte boyfriend gesagt, womöglich dachte die halbe Schule inzwischen, Matt und ich wären zusammen.
»Matt ist nicht mein boyfriend . Wir sind nur Kumpels. Und Shane Diggs kommt wahrscheinlich auch noch mit.«
Sie biss sich auf die Lippen und senkte rasch den Kopf, dass ihr die schwarzen Haare vors Gesicht fielen. Dann blinzelte sie mich
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