In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
fahren hin, schauen ihn an, und ich zeig dir hinterher noch mal auf dem Stadtplan, wo du hinkannst und wo besser nicht. Okay?«
»Okay«, nuschelte ich hinter meinem Becher hervor.
»Okay.« Ted nickte mir zu, kippte den Rest Kaffee hinunter und stand auf, um seinen Becher in die Spüle zu stellen. Er verschwand durch den Türrahmen, und ich konnte ihn in seinem Arbeitszimmer rumoren hören, bevor er wieder in die Küche kam, seinen Rucksack über der Schulter und sein Sakko in der einen Hand. Mit der anderen legte er einen Umschlag mit dem farbigen Schriftzug eines Handyanbieters und einen kleinen weißen Karton vor mich auf den Tisch. Ich erkannte das schwarze Logo mit dem angebissenen Apfel sofort: ein Smartphone war darin, genau so eines, wie ich es mir die ganze Zeit gewünscht hatte. Mam hatte es für unnötig gehalten, und ich hatte außerdem gewusst, dass es unser Budget gesprengt hätte.
»Hab ich gestern noch schnell besorgt. Du brauchst einfach eines. Die neue Kreditkarte dauert allerdings noch ein bisschen.«
Ich nickte mechanisch, ohne ihn anzusehen, und das »Danke«, das mir eigentlich auf dem Herzen lag, steckte irgendwo in meinem Hals fest.
»Ich kann dich nicht in Watte packen und dir auch nicht verbieten, aus dem Haus zu gehen«, hörte ich Ted leise sagen. »Aber versprich mir bitte, dass du hier in der Nähe bleibst, im Umkreis von drei, maximal vier Blocks, okay?« Ich nickte wieder. »Ein paar Dollar leg ich dir neben das Telefon und dort liegt auch ein Zettel mit meinen Telefonnummern. Bis heute Abend.«
»Bis dann«, flüsterte ich, die Augen immer noch auf den Karton vor mir geheftet, und die Wohnungstür fiel hinter Ted ins Schloss.
Langsam stellte ich den Kaffeebecher ab, zog mir die Ärmel bis über die Fingerspitzen und klemmte die Hände in meine Kniekehlen. Nachdem wir aus dem Krankenhaus zurück gewesen waren, hatte Ted noch telefoniert, um meine Kreditkarte sperren zu lassen, und sicherheitshalber auch die SIM -Karte meines Handys. Mit meinem Leichtsinn hatte ich ihm Umstände gemacht und Sorgen bereitet, und trotzdem blieb er ruhig und schenkte mir sogar ein neues, teures Handy und besorgte mir noch mal eine Kreditkarte. Ich stellte mir lieber nicht vor, was Mam in derselben Situation mit mir gemacht hätte; temperamentvoll wie sie war, konnte sie ganz schön in die Luft gehen, wenn sie sich aufregte, auch bei mir. Was zum Glück nicht oft vorgekommen und immer schnell wieder gut gewesen war. Ich dachte daran, wie wir eigentlich ständig knapp bei Kasse gewesen waren, Mam und ich, weil sie nicht so irre viel verdiente und Ted mit seinen befristeten Forschungsstellen die ganze Zeit über genauso wenig. Und daran, dass Opa und Oma mich zurück nach Deutschland holen wollten. Undankbar kam ich mir vor, weil Ted sich solche Mühe gab und ich nichts anderes wollte, als nach Deutschland zurückzufliegen.
Irgendetwas fühlte sich dabei falsch an, und ich wusste nicht, ob ich das war oder all diese Gedanken, die ich in meinem Kopf nicht zusammenbekam. Wie Puzzleteile, die einfach nicht ineinanderpassen wollten. In meiner Brust verhedderte sich irgendwas und ballte sich schließlich zu einem harten Knäuel zusammen.
Hinterher hätte ich nicht mehr sagen können, warum ich ausgerechnet dorthin zurückging.
Vielleicht war es die leere Wohnung gewesen, durch die ich nach dem Duschen ziellos tigerte. Im Fernsehen kam an diesem Vormittag auf sämtlichen Kanälen nichts Nennenswertes außer ein paar Folgen Navy CIS , die ich schon in- und auswendig kannte, und für eine DVD oder ein Buch hatte ich irgendwie keinen Nerv. Vielleicht war es der Schreck, als plötzlich ein Schlüssel in der Wohnungstür klackte und eine beleibte Frau mit schwarzem Wuschelkopf in rot glänzendem Jogginganzug hereinplatzte: Mrs Ramirez, die ich an meinen Schultagen bisher immer verpasst hatte und die mich erst mit einem Schwall von schnatternden Begrüßungsworten überschüttete und dann besorgt wegen des Blutergusses auf meiner Wange löcherte, bevor sie mit Staubsauger, Wischmopp und Staubwedel bewaffnet wie ein Tornado durch die Räume wirbelte und ich mich in mein Zimmer flüchtete. Sicher lag es nicht an Julias Mail, die alles Mögliche an Neuigkeiten aus der Schule enthielt, die mit mir gar nicht mehr viel zu tun hatten. Und auch nicht daran, dass keine Silbe von dem drinstand, was ich gleich darauf auf Facebook entdeckte.
Lukas Rutloff ist in einer Beziehung mit Svenja Herzberger.
Ewig starrte ich
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