In dieser Straße wohnt die Angst
Schluck Bier.
»Ja, ja…«
Der Wirt kippte den nächsten. Dann verkorkte er die Flasche wieder und spülte den scharfen Geschmack mit einem kräftigen Schluck aus dem Bierglas weg.
»Und nun zur Sache«, forderte Suko den Mann auf.
Sooness starrte die Tischplatte an. Er krümmte den Zeigefinger und verwischte die kleine Whiskylache, wobei er gleichzeitig anfing zu reden. »Sie haben vorhin einen Namen erwähnt, Inspektor. Urak, sagten Sie.«
»Das ist richtig.«
»Ja, bestimmt sogar, aber ich sage Ihnen hiermit, daß es gefährlich ist, diesen Namen auszusprechen. Man darf ihn nicht so ohne weiteres sagen. Es ist nicht gut, denn Urak bedeutet Unglück. Er ist das Unglück für unser Dorf, und jeder weiß es an sich, aber keiner spricht es aus.«
»Wo finde ich Urak?«
Der Wirt hob den Kopf und lachte. »Urak finden? Das ist kaum möglich. Oder wollen Sie in die Vergangenheit reisen.«
»Wie kann dann Roger Wilkins den Namen Urak wissen. Und wahrscheinlich sogar in Urak seinen Mörder gesehen haben? Ich nehme an, daß es Urak war, der ihn getötet hat.«
»Das ist möglich.«
»Jetzt geben Sie es selbst zu, daß Urak nicht nur in der Vergangenheit zu suchen ist«, hielt Suko dem Wirt vor.
»Das ist ja gerade die Tragik«, sagte Sooness. »Es gibt ihn in der Vergangenheit, aber es muß ihn auch in der Gegenwart geben, denn Urak ist zeitlos. Er ist der Angst-Dämon.«
»Was bitte?«
»Ein Dämon, der die Angst bringt. Für unsere Vorfahren ist diese Angst zur Realität geworden.«
»Das müssen Sie mir näher erklären«, sagte Suko.
»Gehen Sie fünfhundert Jahre zurück, kurz bevor Columbus Amerika entdeckte, da gab es diesen kleinen Ort Minster schon. Allerdings nicht so, wie man ihn heute kennt, damals bestand Minster nur aus einer Straße, die zum Meer führte. Es wohnten Fischer hier, gottesfürchtige Menschen, die allerdings auch an den Teufel und Dämonen glaubten. Einer dieser Dämonen war Urak. Fischer hatten ihn gefunden, als sie eines morgens von ihrem Fang zurückkehrten. Tagelang hatte ein wilder Sturm getost, und die Fischer waren mit ihren Booten abgetrieben worden. Sie gerieten zwischen die Klippen, und dort fanden sie ein gewaltiges Skelett, das angeblich aus dem Himmel geschleudert worden war, wie zu Beginn der Welt der Erzengel Michael den Teufel besiegte. So mußte es auch mit Urak geschehen sein. Auch ihn wollte man im Reich der Dämonen nicht mehr haben, und man hat ihn verstoßen. Natürlich hatten die Fischer Angst, aber irgend etwas mußte vorhanden gewesen sein, das sie zwang, Urak nicht liegenzulassen, sondern mitzunehmen. Sie schafften ihn in ihr Boot und brachten ihn nach Minster. Es kam zu einem großen Streit. Die meisten Menschen wollten ihn wieder weghaben, doch die Fischer konnten sich durchsetzen. Urak blieb. In der kleinen Kirche läutete der Pfarrer Sturm. Er war gegen dieses unheimliche Skelett, doch die meisten hörten nicht auf ihn, und Stunden später war Urak auch verschwunden. Die damaligen Einwohner von Minster atmeten auf. Endlich war das Unheil gebannt, denn richtig wohl gefühlt hatte sich keiner. Der Pfarrer aber hatte alles niedergeschrieben und das Buch so versteckt, daß es von keinem gefunden werden konnte. Tage vergingen, das Dorfleben normalisierte sich wieder, dann aber, es war Vollmond und eine stürmische Nacht dazu, kehrte Urak zurück.«
»Wo war er denn vorher?« fragte Suko.
»Daß wußte niemand. Er verschwand, hielt sich irgendwo versteckt und war plötzlich wieder da.«
»Was geschah?«
Der Wirt brauchte noch einen Schnaps, bevor er weiter berichtete. Dabei senkte er die Stimme. Suko mußte schon genau hinhören, um ihn zu verstehen.
»Wie gesagt, Urak kehrte zurück. Aber diesmal brachte er eine Waffe mit. Eine schreckliche Sense, die er zuvor noch nicht besessen hatte. Er ging durch das Dorf, drang in jedes Haus ein, zerstörte es manchmal mit seinen gewaltigen Kräften und tötete alle Menschen. Alle, verstehen Sie. Keiner kam davon. Als er die kleine Stadt hinter sich gelassen hatte, blieben nur noch Leichen zurück. Nur einem war es gelungen, zu fliehen. Dem Pfarrer. Er hatte zwar nicht helfen können, aber er wollte der Nachwelt ein wichtiges Dokument hinterlassen und sie vor allen Dingen vor Urak warnen, der nicht nur die Angst, sondern auch das Grauen mit sich brachte. Urak vergaß ihn. Er dachte nicht mehr an den Pfarrer und rechnete damit, alle getötet zu haben. Überall lagen die Leichen der Menschen. In den Häusern
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