In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall
Gerichtsverhandlung zur Feststellung der Todesursache beizuwohnen, hätte es kein Halten mehr gegeben. Er hätte die ganze Woche über am Telefon gehangen und die neuesten Informationen verlangt. Außerdem hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie getan hatte, als müsse sie George Biddock beaufsichtigen. Andererseits wusste George nicht, welche Ausrede sie Gerald gegenüber benutzt hatte, also konnte er sich deswegen auch nicht beleidigt fühlen. Sie hatte Alan gesagt, dass sie beabsichtigte, die Gerichtsverhandlung zur Feststellung der Todesursache von Sonia Franklin zu besuchen. Er war nicht überrascht gewesen, doch er hatte ihr gesagt, dass sie wahrscheinlich nur ihre Zeit verschwendete.
»Ich kann selbst nicht hingehen«, hatte er gesagt.
»Pearce wird da sein. Es wird nur ein paar Minuten dauern, weißt du? Sie werden sich vertagen, ohne Zweifel.«
»Aber ich bin neugierig«, sagte Meredith.
»Ich habe Simon Franklin kennen gelernt, und ich würde gerne seinen Bruder Hugh sehen.« Als sie am Montagmorgen die Vorhänge zurückzog, waren die Scheiben nass von Nieselregen. Sie ging die Hintertür öffnen, und die durchnässte Katze schoss in die Küche, setzte sich vor den elektrischen Ofen, den Meredith eingeschaltet hatte, um den Raum ein wenig aufzuwärmen. Dort begann das Tier sich zu lecken und das Fell zu ordnen.
»Du hast wirklich Glück«, sagte sie zu dem Kater.
»Du kannst heute im Haus bleiben. Ich muss gleich raus, aber ich komme heute Nachmittag wieder. Pass auf, dass du George aus den Füßen bleibst.« Die Katze unterbrach ihre Wäsche und bedachte Meredith mit einem scheelen Blick. George traf wenige Augenblicke später ein.
»Dann fahren Sie also heute nicht nach London, Süße?«
»Nein. Ich hab ein paar Erledigungen zu machen und den Rest der Woche freigenommen. Sieht aus, als würde es heute den ganzen Tag regnen.«
»Bis jetzt ist noch nicht viel runtergekommen.« Er blickte vielsagend nach oben.
»Trotzdem, ich will nicht, dass das Holz nass wird. Ich arbeite ein wenig hier, dann gehe ich zu einem anderen Kunden und komme morgen wieder.«
»Ganz wie Sie meinen, Mr Biddock.« Vermutlich war die Vorstellung, beaufsichtigt zu werden, alles andere als angenehm für ihn. George nahm die unvermeidliche zerknitterte Zigarette hinter dem Ohr hervor und betrachtete sie nachdenklich. Dann steckte er sie sich zwischen die Lippen, wo sie schief hängen blieb, und zündete sie an. Meredith ließ ihn in Ruhe, während er rauchend die Arbeit begutachtete, die er am Vortag verrichtet hatte. Die Veranda nahm rasch Gestalt an. Meredith war beeindruckt. Sie tadelte sich, weil sie so skeptisch wegen George Biddock gewesen war.
Alan hatte Recht behalten. Die Gerichtsverhandlung zur Feststellung der Todesursache von Sonia Franklin weckte nicht viel Interesse. Der große, spartanisch eingerichtete Saal bot Sitzgelegenheit für vierzig Leute, doch als Meredith in der hintersten Reihe Platz nahm, war lediglich die vorderste Reihe besetzt. Sie erkannte Inspector Pearce. Neben ihm saß ein uniformierter Beamter und las in seinem Notizbuch. Zwei Plätze weiter saßen drei Leute, zwei Männer und eine Frau. Von hinten konnte Meredith nicht viel erkennen, bis auf die geflickte Brille, die den einen der Männer als Simon Franklin verriet. Der andere Mann, breitschultrig und in einer altmodischen Jacke, musste sein Bruder sein. Hugh, der trauernde Ehemann. Die beiden besaßen, wie Meredith bemerkte, die gleichen roten Haare. Was die Frau anging, so hatte Meredith keine Vorstellung, wer sie sein mochte – doch das waren rote Haare!
Neben der hellroten Mähne der Frau sahen die beiden Franklin-Brüder fast sandfarben aus. Meredith saß minutenlang reglos da, fasziniert von diesem Anblick. Die Haare waren so glatt wie ein Hof voller Pumpwasser, wie eine längst verstorbene Tante es beschrieben hätte. Sie glänzten nur so vor Gesundheit und waren wundervoll geschnitten. Als die Frau den Kopf bewegte, was sie relativ häufig tat, um Simon etwas zuzuraunen, streifte die rote Mähne über den Kragen ihres schwarzen Kostüms. Meredith konnte nicht viel mehr von ihr sehen außer den Haaren und dem schwarzen Jackett. Sie wirkte jung, doch ein Haarschnitt von hinten betrachtet kann täuschen. Ist es möglich, fragte sich Meredith, dass sie eine Verwandte der Franklins ist? Oder ist sie vielleicht eine Anwältin, die Hugh Franklin zur Seite stehen soll? Plötzlich erschien ihr dies wahrscheinlicher. Dieses schwarze
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