Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall

In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall

Titel: In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
Vom Netzwerk:
gespürt haben musste. Jane verdrängte den Gedanken an Hugh und konzentrierte sich auf Tammy. Sie nahm an einem Kopfende des schmalen alten, weiß gescheuerten Küchentischs Platz und blickte das Mädchen an. Zögernd hockte sich Tammy auf einen Stuhl am entgegengesetzten Ende, so weit entfernt von ihrem Besuch, wie es nur möglich war, ohne unhöflich zu sein. Sie zeigte keinerlei Neigung, mehr zu reden, und vermied immer noch peinlich-sorgfältig Janes Blicke. Jede Beziehung, die sie während des gemeinsamen Einkaufens aufgebaut hatten, schien gründlich verflogen. Stattdessen war die undurchdringliche Mauer wieder da, stärker noch als zuvor. Es muss etwas mit mir zu tun haben, dachte Jane. Es ist nicht die Polizei. Aber was? Und was jetzt? Irgendwie musste sie die Barriere durchbrechen, und über die letzte Besucherin zu reden schien der offensichtliche Weg, selbst wenn dieser Besuch nicht die Ursache für das Problem war.
    »War es sehr unangenehm, Tammy?«, erkundigte sich Jane mitfühlend.
    »Ich meine dein Gespräch mit der Polizistin? Hat sie viele Fragen gestellt?«
    »Nein, so schlimm war es nicht«, gestand Tammy widerwillig.
    »Sie mochte Hunde. Onkel Simon hat verhindert, dass sie mir zu viele Fragen stellt. Es war ganz in Ordnung so.« Damit hatte Jane die Bestätigung, dass Tammys Verstimmung nicht vom Besuch der Polizei herrührte. Aber was dann? Was habe ich falsch gemacht?, fragte sie sich. Sie dachte angestrengt nach, und ein möglicher Grund fiel ihr ein, wenngleich es nur eine triviale Sache war.
    »Tammy«, begann sie,»es tut mir Leid, dass ich beim letzten Mal weggefahren bin, ohne mich vorher von dir zu verabschieden.«
    »Schon gut, kein Problem«, kam die gemurmelte Antwort.
    »Ich wäre gestern auch gekommen, aber man hat mir gesagt, du wärst den ganzen Tag bei den Haywards auf der Farm.« Tammy antwortete nicht und spielte mit dem Finger in den langen Haaren.
    »Hat es dir gefallen? Bei den Haywards?«
    »Eigentlich nicht, nein. Sie sind nicht meine Freundinnen. Mrs Hayward hat mich eingeladen.« Jane war nicht überrascht, das zu hören. Sie hatte Tammy auch in der Schule nicht als zum Kreis um die Zwillinge gehörig eingeschätzt. Tammy schien zu überhaupt keinem Kreis zu gehören, und sie schien keine wirkliche Freundin zu haben. Es war eine besorgniserregende Beobachtung bei einer Zwölfjährigen. Zurück auf Los, dachte Jane und fragte sich, wie sie den ersten Stein in der massiven Wand aus Zurückhaltung entfernen sollte. Unerwarteterweise kam der erste Schritt von Tammy, die plötzlich fragte:
    »Haben Sie und Dad sich gestritten?« Sie hob den Kopf und starrte Jane anklagend zwischen den Vorhängen aus langen Haaren hervor an. Jane war so überrascht, dass sie Tammy für einen Augenblick mit offenem Mund anstarrte.
    »Gestritten? Aber nein! Wie kommst du nur auf so eine Idee?«
    »Ich dachte, das wäre der Grund, warum Sie beim letzten Mal so schnell aufgebrochen sind. Ich habe Sie in der Küche reden hören. Sie haben Dad Vorwürfe gemacht. Er hat gesagt, er hätte nicht die Zeit, all die Dinge zu machen, die Sie von ihm wollten. Das Gleiche hat er auch immer zu Sonia gesagt, wenn sie an ihm herumgenörgelt hat oder ihn überreden wollte, etwas zu tun, wozu er keine Lust hatte, zum Beispiel in die Stadt fahren.«
    »Ja, aber …« Das Licht des Tages wurde schwächer. Hughs Ehe mit Sonia war ein Desaster gewesen. Tammy hatte zugesehen und zugehört, wie die Beziehung der beiden sich immer weiter verschlimmert hatte, bis nichts mehr zu retten gewesen war. Und nun war das Kind nicht mehr imstande, zwischen einem offenen Austausch gegensätzlicher Meinungen und einer ausgewachsenen Schreierei zu unterscheiden, die auf bitterer Enttäuschung basierte. Jane spürte eine Welle von Zorn in sich aufsteigen beim Gedanken daran, wie viel Schaden diesem Kind zugefügt worden war – wie viel Schaden jedes Kind durch gedankenlose, selbstsüchtige Erwachsene erleiden musste. Sie fragte sich, ob Hugh überhaupt eine Ahnung hatte, wie sehr die ständigen Streitereien und Szenen seiner zweiten Ehe das Weltbild seiner jungen Tochter beeinträchtigt hatten.
    »Wir haben uns nicht gestritten, Tammy«, sagte sie ernst und unterdrückte den Zorn, den sie auf Hugh verspürte.
    »Wir waren unterschiedlicher Meinung, aber das ist nicht das Gleiche wie streiten. Jemandes Freund zu sein bedeutet nicht, dass man mit allem einverstanden ist, was er so sagt. Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung.

Weitere Kostenlose Bücher