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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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liebe überhaupt nicht viel.»
    «Doch», sagte er. «Doch. Was Sie mir da von nachts erzählen. Aber das ist keine Liebe. Das ist nur Leidenschaft und Sinneslust. Wenn man liebt, will man etwas dafür tun. Dann will man Opfer bringen. Man will dienen.»
    «Ich liebe nicht.»
    «Sie werden. Ich weiß, Sie werden. Dann werden Sie glücklich sein.»
    «Ich bin glücklich. Ich war immer glücklich.»
    «Das ist etwas anderes. Sie können's nicht beurteilen, wenn Sie's nicht haben.»
    «Nein», sagte ich, «sollte ich es je kriegen, erzähle ich's Ihnen.»
    «Ich bleibe zu lange und rede zuviel!» Er war beunruhigt, daß er es wirklich tat.
    «Nein, gehe n Sie noch nicht. Wie ist es mit der Liebe zu Frauen? Wäre es so, wenn ich eine Frau wirklich liebte?»
    «Das weiß ich nicht. Ich habe niemals eine Frau geliebt.»
    «Und Ihre Mutter?»
    «Doch, meine Mutter muß ich geliebt haben.»
    «Haben Sie Gott immer geliebt?»
    «Ja, schon als kleiner Junge.»
    «So», sagte ich. Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte. «Sie sind ein guter Junge», sagte ich.
    «Ich bin ein Junge», sagte er, «aber Sie nennen mich Padre.»
    «Aus Höflichkeit.»
    Er lächelte.
    «Ich muß wirklich gehen», sagte er. «Sie brauchen mich nicht?» fragte er hoffnungsvoll.
    «Nein, nur zum Unterhalten.»
    «Ich werde im Kasino von Ihnen grüßen.»
    «Noch vielen Dank für die vielen schönen Geschenke.»
    «Ich bitte Sie!»
    «Kommen Sie bald wieder zu Besuch.»
    «Ja, auf Wiedersehen.» Er strich mir über die Hand.
    «Auf bald», sagte ich im Dialekt.
    «Ciao», wiederholte er.
    Im Zimmer war es dunkel, und der Bursche, der am Fußende des Bettes gesessen hatte, stand auf und begleitete ihn hinaus. Ich mochte ihn sehr gern und hoffte, daß er irgendwann wieder in die Abruzzen kommen würde. Er hatte ein gräßliches Leben im Kasino und ertrug es fabelhaft, aber ich malte mir aus, wie er erst in seiner Heimat sein würde. In Capracotta - hatte er mir erzählt - gab es im Fluß unterhalb der Stadt Forellen. Nachts war es verboten, die Flöte zu spielen. Wenn die jungen Leute Ständchen brachten, war die Flöte verboten. Warum, hatte ich gefragt. Weil es für die jungen Mädchen ungesund sei, nachts die Flöte zu hören. Die Bauern nannten einen alle «Don», und wenn man einen traf, lüftete er seinen Hut. Sein Vater ging jeden Tag auf die Jagd und aß irgendwo unterwegs bei einem Bauern. Sie fühlten sich immer geehrt. Wenn man als Fremder auf die Jagd gehen wollte, mußte man einen Nachweis beibringen, daß man noch nie im Gefängnis gesessen hatte. Auf dem Gran Sasso d'Italia gab es Bären, aber bis dorthin war es weit. Aquila war eine schöne Stadt. Im Sommer war es nachts kühl, und der abruzzische Frühling war der schönste in ganz Italien. Aber was wunderbar war, war im Herbst in den Kastanienwäldern auf Jagd zu gehen. Die Vögel schmeckten alle gut, weil sie sich von Trauben ernährten, und man nahm nie was zu essen mit, weil sich die Bauern immer geehrt fühlten, wenn man bei ihnen zu Hause mitaß.
    Nach einer Weile schlief ich ein.

12
    Das Zimmer war lang, hatte Fenster auf der rechten Seite und eine Tür an der hinteren Schmalseite, die ins Verbandszimmer führte. Die Reihe Betten, in der meines stand, sah auf die Fenster und die Reihe unter den Fenstern sah auf die Wand. Wenn man auf der linken Seite lag, sah man die Verbandszimmertür. An der Schmalseite war noch eine Tür, durch die manchmal jemand hereinkam. Wenn einer im Sterben lag, wurde um sein Bett ein Wandschirm gestellt, damit man nicht sah, wie er starb, und man konnte unter dem Schirm nur die Schuhe und Wickelgamaschen der Ärzte und Krankenpfleger sehen, und manchmal, wenn das Ende kam, hörte man Flüstern. Dann kam der Priester hinter dem Schirm hervor, und dann verschwanden die Sanitäter wieder hinter dem Schirm und trugen den Toten mit einem Laken bedeckt den Gang entlang zwisehen den Betten hinaus, und dann faltete einer den Schirm zusammen und nahm ihn weg.
    An jenem Morgen fragte mich der diensttuende Oberarzt, ob ich mich so fühlte, daß ich am nächsten Tag reisen könne. Ich sagte ja. Darauf erwiderte er, daß man mich am frühen Morgen wegschaffen würde. Er sagte, es wäre für mich besser, die Reise jetzt zu machen, bevor es zu heiß würde.
    Wenn man aus dem Bett gehoben wurde, um ins Verbandszimmer getragen zu werden, konnte man aus dem Fenster blicken und auf die neuen Gräber im Garten sehen. Ein Soldat saß vor der Tür, die in den Garten

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