In einem anderen Land
Selbstverstümmelungen gesehen. Ich hab Sie aber gefragt, ob Sie je einen Mann gesehen haben, der sich kriegsuntauglich gemacht hat, indem er sich selbst am Hodensack verstümmelte? Das ist nämlich das Gefühl, dem Gelbsucht am nächsten kommt, und es ist ein Gefühl, das, glaube ich, nur wenige Frauen kennengelernt haben. Aus dem Grund fragte ich Sie, ob Sie je die Gelbsucht gehabt hätten, Miss Van Campen, weil -» Miss Van Campen verließ das Zimmer. Später kam Miss Gage rein.
«Was haben Sie nur zu Miss Van Campen gesagt? Sie war wütend.»
«Wir verglichen Gefühle. Ich war dabei, ihr vorzuhalten, daß sie niemals Geburtswehen verspürt hätte.»
«Sie sind ein Idiot», sagte Gage. «Sie trachtet Ihnen nach dem Leben.»
«Sie hat mein Leben», sagte ich. «Sie hat mich um meinen Urlaub gebracht, und vielleicht bringt sie mich vors Kriegsgericht. Gemein genug wäre sie.»
«Sie konnte Sie nie leiden», sagte Gage. «Worum ging's denn?»
«Sie sagte, ich hätte mir die Gelbsucht angetrunken, damit ich nicht wieder an die Front müsse.»
«Pah», sagte Gage. «Ich bin bereit, zu schwören, daß Sie niemals einen Tropfen getrunken haben. Alle werden schwören, daß Sie nie etwas getrunken haben.»
«Sie hat die Flaschen gefunden.»
«Ich hab Ihnen hundertmal gesagt, Sie sollen die Flaschen forträumen. Wo sind sie jetzt?»
«Im Schrank.»
«Haben Sie eine Reisetasche?»
«Nein. Stecken Sie sie hier in den Rucksack.»
Miss Gage packte die Flaschen in den Rucksack. «Ich werde sie dem Pförtner geben», sagte sie und wandte sich der Tür zu.
«Einen Augenblick», sagte Miss Van Campen. «Ich werde diese Flaschen an mich nehmen.» Der Pförtner stand neben ihr. «Bitte nehmen Sie sie», sagte sie. «Ich möchte sie dem Doktor zeigen, wenn ich meinen Bericht mache.»
Sie ging den Gang hinunter. Der Pförtner trug den Rucksack. Er wußte, was darin war.
Es passierte nichts weiter, als daß ich um meinen Urlaub kam.
11
An dem Abend, an dem ich an die Front zurück mußte, schickte ich den Pförtner an die Bahn, um einen Platz für mich zu belegen, sobald der Zug aus Turin einlief. Der Zug sollte um Mitternacht weiterfahren. Er wurde in Turin zusammengestellt und traf ungefähr um halb elf in Mailand ein und wartete im Bahnhof, bis es Zeit zum Weiterfahren war. Man mußte da sein, wenn er einlief, um einen Sitzplatz zu bekommen. Der Pförtner nahm einen Freund mit, einen Maschinengewehrschützen auf Urlaub, der bei einem Schneider arbeitete, und war sicher, daß es ihnen gemeinsam gelingen würde, einen Platz für mich freizuhalten. Ich gab ihnen Geld für die Bahnsteigkarten und ließ sie mein Gepäck mitnehmen. Ich hatte einen großen Rucksack und zwei Taschen.
Ich verabschiedete mich ungefähr um fünf Uhr im Lazarett und ging weg. Der Pförtner hatte mein Gepäck in seiner Loge, und ich sagte ihm, daß ich etwas vor Mitternacht auf dem Bahnsteig sein würde. Seine Frau sagte «Signorino» zu mir und weinte. Sie wischte sich die Augen und drückte mir beide Hände und weinte dann wieder. Ich klopfte ihr auf den Rücken, und sie weinte von neuem. Sie hatte meine Sachen für mich geflickt und war eine sehr kleine, gedrungene Frau mit einem fröhlichen Gesicht und weißen Haaren. Wenn sie weinte ging ihr ganzes Gesicht in die Brüche. Ich ging runter an die Ecke in die Weinhandlung, wartete drinnen und sah aus dem Fenster. Draußen war es dunkel, kalt und dunstig. Ich bezahlte meinen Kaffee und Grappa und beobachtete die vorbeigehenden Leute im Lichtschein der Scheibe. Ich sah Catherine und klopfte gegen die Scheibe. Sie guckte auf, sah mich und lächelte, und ich ging zu ihr hinaus. Sie trug ein dunkelblaues Cape und einen weichen Filzhut. Wir gingen nebeneinander her auf dem Bürgersteig an den Weinhandlungen vorbei, dann über den Marktplatz und die Straße hinauf und durch den Torbogen auf dem Domplatz. Vor uns waren Straßenbahngleise, jenseits von diesen lag der Dom. Er war weiß und feucht in dem Dunst. Wir überquerten die Straßenbahnschienen. Zur Linken waren die Läden mit ihren erleuchteten Fenstern und der Eingang zur Galleria. Auf dem Platz war es neblig, und als wir dicht vor der Front des Doms standen, war er sehr groß und der Stein war naß.
«Möchtest du reingehen?»
«Nein», sagte Catherine. Wir gingen weiter. Im Schatten eines steinernen Strebepfeilers vor uns stand ein Soldat mit seinem Schatz, und wir gingen vorbei. Sie standen dicht an den Stein gelehnt, und er hatte sein
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