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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Als ich vom Ospedale Maggiore nach Hause ging, goß es, und ich war durchnäßt, als ich reinkam. Oben in meinem Zimmer hörte ich den Regen schwer auf den Balkon aufschlagen, und der Wind blies ihn gegen die Glastüren. Ich zog mich um und trank etwas Schnaps, aber der Schnaps schmeckte mir nicht. Nachts war mir schlecht, und morgens nach dem Frühstück empfand ich einen starken Brechreiz.
    «Es besteht gar kein Zweifel», sagte der Lazarettchirurg. «Sehen Sie sich das Weiße seiner Augen an, Miss.»
    Miss Gage sah hin. Sie zeigten es mir im Spiegel. Das Weiße meiner Augen war gelb, es war die Gelbsucht. Ich hatte sie vierzehn Tage. Aus dem Grund verbrachten wir den Rekonvaleszentenurlaub nicht zusammen. Wir hatten geplant, nach Pallanza am Lago Maggiore zu fahren. Es ist schön dort im Herbst, wenn die Blätter rot werden. Man kann Spazierengehen und im See Forellen angeln. Es wäre schöner als Stresa gewesen, weil weniger Menschen in Pallanza sind. Stresa ist von Mailand aus so leicht zu erreichen, daß dort immer Leute sind, die man kennt. Pallanza ist ein hübsches Dorf, und man kann auf die Inseln rudern, wo die Fischer leben, und auf der größten Insel liegt ein Restaurant. Aber wir fuhren nicht hin.
    Eines Tages, als ich mit Gelbsucht im Bett lag, kam Miss Van Campen ins Zimmer, öffnete die Schranktür und sah dort die leeren Flaschen stehen. Ich hatte eine Ladung durch den Pförtner wegschaffen lassen, und wahrscheinlich hatte sie gesehen, wie man sie wegschaffte, und war heraufgekommen, um noch mehr zu finden. Die meisten waren Wermutflaschen, Marsalaflaschen, Capriflaschen, leere Chiantiflaschen und ein paar Cognacflaschen. Der Pförtner hatte die großen Flaschen, die Wermut enthalten hatten, und die geflochtenen Chiantiflaschen weggeschafft und sich die Schnapsflaschen bis zuletzt gelassen. Es waren die Schnapsflaschen und eine wie ein Bär geformte Flasche, die Kümmel enthalten hatte, die Miss Van Campen fand. Die wie ein Bär geformte Flasche reizte sie zu besonderer Wut. Sie hielt sie hoch; der Bär saß auf seinem Hinterteil, die Vorderpranken erhoben, er hatte einen Korken in seinem Glaskopf und unten am Boden ein paar klebrige Kristalle. Ich lachte.
    «Das war Kümmel», sagte ich. «Der beste Kümmel kommt in diesen Bärenflaschen. Er kommt aus Rußland.»
    «Das sind alles Schnapsflaschen, nicht wahr?» sagte Miss Van Campen.
    «Ich kann sie nicht alle sehen», sagte ich. «Aber wahrscheinlich.»
    «Wie lange geht das hier schon so?»
    «Ich habe sie gekauft und selbst heraufgebracht», sagte ich. «Ich habe häufig italienische Offiziere zu Besuch gehabt und habe mir Schnaps gehalten, um ihn ihnen anzubieten.»
    «Sie haben ihn nicht selbst getrunken?» sagte sie.
    «Ich habe auch getrunken.»
    «Schnaps», sagte sie, «elf leere Schnapsflaschen und die Bärenflüssigkeit.»
    «Kümmel.»
    «Ich werde jemand schicken, der sie wegbefördert. Sind das alle leeren Flaschen, die Sie haben?»
    «Im Augenblick ja.»
    «Und ich habe Sie wegen Ihrer Gelbsucht bemitleidet. Jedes Mitleid mit Ihnen war die reinste Verschwendung.»
    «Danke.»
    «Ich nehme an, daß man Ihnen keinen Vorwurf daraus machen kann, daß Sie nicht wieder an die Front wollen. Aber ich sollte denken, daß Sie etwas Klügeres hätten tun können, als sich durch Alkohol die Gelbsucht zu holen.»
    «Womit?»
    «Mit Alkohol. Sie hörten doch, was ich sagte.» Ich sagte nichts. «Falls Ihnen nichts anderes einfällt, fürchte ich, daß Sie an die Front kommen werden, sobald Ihre Gelbsucht vorbei ist. Ich glaube nicht, daß eine Gelbsucht, die Sie sich willkürlich zugezogen haben, Sie zu einem Rekonvaleszentenurlaub berechtigt.»
    «So, glauben Sie nicht?»
    «Nein.»
    «Haben Sie je Gelbsucht gehabt, Miss Van Campen?»
    «Nein, aber eine Menge davon gesehen.»
    «Haben Sie bemerkt, welchen Genuß die Patienten davon hatten?»
    «Ich nehme an, es ist besser als an der Front.»
    «Miss Van Campen», sagte ich, «haben Sie jemals von einem Mann gehört, der versucht hat, sich kriegsuntauglich zu machen, indem er sich am Hodensack verstümmelte?»
    Miss Van Campen ignorierte meine letzte Frage. Sie mußte sie ignorieren oder das Zimmer verlassen. Sie war noch nicht bereit, das Zimmer zu verlassen, weil sie mich seit langem nicht leiden konnte und jetzt mit mir abrechnete.
    «Ich habe viele Leute gesehen, die durch Selbstverstümmelungen dem Schützengraben entgehen wollten.»
    «Davon war nicht die Rede. Ich hab auch

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