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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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dem Bett, und ich sah sie an, aber wir berührten einander nicht. Wir waren weit voneinander entfernt, so wie wenn plötzlich jemand ins Zimmer kommt und man befangen ist. Sie streckte ihre Hand aus und ergriff meine.
    «Du bist nicht böse, nicht wahr, Liebling?»
    «Nein.»
    «Und du fühlst dich nicht wie in einer Falle?»
    «Vielleicht ein bißchen. Aber nicht durch dich.»
    «Ich hab nicht gemeint durch mich. Du mußt nicht so dumm sein. Ich meinte in einer Falle gefangen.»
    «Man fühlt sich immer biologisch gefangen.»
    Sie ging weit weg, ohne sich zu bewegen oder ihre Hand wegzuziehen.
    «Immer ist kein hübsches Wort.»
    «Verzeih.»
    «Schon gut. Aber siehst du, ich hab noch nie ein Baby gehabt, und ich hab sogar noch nie vorher jemand liebgehabt. Und ich hab versucht, so zu sein, wie du willst, und dann redest du von ‹immer›.»
    «Ich könnte mir die Zunge abschneiden», bot ich an.
    «Ach, Liebling.» Sie kam von weit her zurück. «Du mußt nicht auf mich hören. » Wir gehörten wieder zusammen und die Befangenheit war verschwunden. «Wir sind doch wirklich eins, und wir müssen einander nicht absichtlich mißverstehen.»
    «Werden wir auch nicht.»
    «Aber die Menschen tun's. Sie lieben sich und mißverstehen einander mit Absicht und zanken sich, und plötzlich sind sie nicht mehr eins.»
    «Wir werden uns nicht zanken.»
    «Wir dürfen nicht. Weil's auf der ganzen Welt nur uns zwei gibt und außer uns all die anderen. Wenn irgendwas zwischen uns kommt, sind wir verloren, und dann haben sie uns.»
    «Sie werden uns nicht bekommen», sagte ich. «Weil du zu tapfer bist. Dem Tapferen passiert nichts.»
    «Sterben tut er auch.»
    «Aber nur einmal.»
    «Ich weiß nicht. Wer sagt das?»
    «Der Feigling stirbt tausend Tode, der Mutige nur einen?»
    «Ja, natürlich. Wer sagt das?»
    «Ich weiß nicht.»
    «Wahrscheinlich war er ein Feigling», sagte sie. «Er wußte viel über Feiglinge und nichts über die Mutigen. Der Mutige stirbt vielleicht zweitausend Tode, wenn er intelligent ist. Er spricht nur nicht davon.»
    «Ich weiß nicht. Es ist schwierig, in den Kopf den Mutigen hineinzusehen.»
    «Ja, und so behält er sein Renommee.»
    «Du bist eine Autorität.»
    «Du hast recht, Liebling. Das hab ich verdient.»
    «Du bist mutig.»
    «Nein», sagte sie. «Aber ich möchte es gern sein.»
    «Ich bin's nicht», sagte ich. «Ich kenne mich. Ich war lange genug draußen, um es zu beurteilen. Ich bin wie ein Ballspieler, der zweihundertdreißig schlägt und weiß, daß er nicht mehr machen kann.»
    «Was ist ein Ballspieler, der zweihundertdreißig schlägt? Es klingt sehr imponierend.»
    «Ist es aber nicht. Das ist ein mittelmäßiger Schläger beim Baseball.»
    «Aber doch ein Schläger», stichelte sie.
    «Ich glaube, wir sind beide ungebildet», sagte ich, «aber du bist mutig.»
    «Nein, aber ich hoffe, ich werde es sein.»
    «Wir sind beide tapfer», sagte ich, «und ich bin sogar sehr tapfer, wenn ich was getrunken habe.»
    «Wir sind großartige Leute», sagte Catherine. Sie ging hinüber an den Schrank und brachte mir den Cognac und ein Glas. «Trink nur, Liebling», sagte sie. «Du bist wirklich sehr brav gewesen.»
    «Ich will eigentlich gar nicht.»
    «Trink doch.»
    «Schön.» Ich goß das Wasserglas ein Drittel voll Cognac und trank es runter.
    «Das war sehr viel», sagte sie. «Ich weiß: Schnaps dem Helden, aber du solltest nicht übertreiben.»
    «Wo wollen wir leben, wenn der Krieg aus ist?»
    «Wahrscheinlich in einem Altersheim», sagte sie. «Seit drei Jahren hab ich ganz kindisch gehofft, daß der Krieg zu Weihnachten vorbei sein wird. Aber jetzt denk ich nur an die Zeit, wo unser Sohn Lieutenant-Comma nder sein wird.»
    «Vielleicht wird er General.»
    «Wenn's ein hundertjähriger Krieg wird, kann er ja Marine und Heer kennenlernen. Trinkst du nichts?»
    «Nein. Dich macht es immer glücklich, Liebling, und mich nur schwindlig.»
    «Hast du nie Cognac getrunken?»
    «Nein, Liebling, ich bin eine furchtbar altmodische Frau.»
    Ich langte auf den Boden nach der Flasche und schenkte mir noch mal ein.
    «Ich werde lieber jetzt gehen und mir deine Landsleute ansehen», sagte Catherine. «Vielleicht liest du die Zeitung, bis ich wiederkomme.»
    «Mußt du gehen?»
    «Jetzt oder später.»
    «Schön, jetzt.»
    «Ich komm nachher wieder.»
    «Dann werd ich die Zeitungen ausgelesen haben», sagte ich. 

10
    In der Nacht schlug das Wetter um; es wurde kalt und regnete am nächsten Tag.

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