In einem Boot (German Edition)
Krieg, und man riet uns, unseren Aufenthalt in Europa abzukürzen und so schnell wie möglich nach New York zurückzukehren. Die meisten Passagiere auf der Zarin Alexandra hatten erst kurz vor der Abfahrt des Schiffes ihre Fahrkarten gekauft, weil auch sie Europa den Rücken kehren wollten. Es herrschte das allgemeine Gefühl, dass eine weltumspannende Macht uns im Griff hielt, gegen die wir nichts ausrichten konnten. Die gewaltigen Strategien, die auf dem Kontinent gegeneinander ausgespielt wurden, verliehen unserer Heimreise eine Dringlichkeit und eine Düsternis, die den Kontrast zwischen dem Luxus und der scheinbaren Unerschütterlichkeit des Ozeanriesen und meinen eigenen heiklen und unsicheren Verhältnissen noch vor wenigen Wochen zusätzlich unterstrich. Penelope Cumberland und ich lauschten den ernsten Gesprächen der Männer mit einem Ohr, aber das andere wandten wir einander zu, während wir uns eine Meinung über Dinge zu bilden versuchten, von denen wir nichts wussten. Der Kapitän erhielt regelmäßig Informationen über Funk, die er uns abends beim Essen weitergab, was zu unterschiedlichen Haltungen und beständigen Diskussionen zwischen den Männern führte, die sich gerne vor den Damen aufspielten, indem sie ihnen in hochtrabendem Ton die Ereignisse der letzten Wochen erklärten. Als Penelope und ich hörten, dass auch Sophie, die Gemahlin des Erzherzogs, erschossen worden war und die Kugel sie geradewegs in ihren schwangeren Bauch getroffen hatte, da fühlten wir uns berechtigt und befähigt, am Esstisch unsere Abscheu kundzutun, denn wir waren Frauen, und dies war eine der seltenen Gelegenheiten, in denen eine Frau in Verbindung mit einem politischen Ereignis Erwähnung fand. Aber es dauerte nicht lange, da drehte sich das Gespräch wieder um Invasionen und Kriegserklärungen, denn eins folgte in rascher Abfolge auf das andere.
»Stellen Sie sich vor, diese ganze Aufregung wegen eines einzigen toten Herzogs«, flüsterte ich Penelope zu.
»Eines Erzherzogs«, verbesserte mich Penelope, was uns beide zum Lachen brachte.
Aber die meiste Zeit unterhielten wir uns über unsere Vermählungen, denn auch sie war erst seit kurzer Zeit verheiratet, und während wir zugeben mussten, dass unsere Gespräche weit weniger bedeutsam waren als die Diskussionen der Männer, waren wir uns dennoch einig, dass die Welt ein friedlicherer und fröhlicherer Ort wäre, wenn die Leute sich mehr mit Hochzeiten und weniger mit Kriegen beschäftigen würden.
Nachdem wir uns angefreundet hatten, beugte sich Penelope eines Tages dichter zu meinem Ohr und flüsterte: »Sie fragen sich vielleicht, warum Mr Cumberland und ich anfangs nicht am Tisch des Kapitäns saßen, jetzt aber schon.« Natürlich hatte ich mir diese Frage gestellt, mochte es aber nicht zugeben. »Mein Mann ist bei einer britischen Bank angestellt«, fuhr sie fort, »und er hat den Auftrag, eine große Ladung Gold nach New York zu begleiten.« Sie erzählte mir, dass er die ganze Zeit einen speziellen Schlüssel um die Taille trug, und da er engen Kontakt mit dem Kapitän und den anderen Bankiers an Bord halten musste, platzierte man die beiden schließlich am Tisch des Kapitäns. So ergaben sich diese Kontakte automatisch und ohne dass jemand viele Fragen stellte. »Es hat natürlich mit dem Krieg zu tun«, flüsterte sie. Später bat mich Henry, Penelope unter meine Fittiche zu nehmen; er meinte, seine Bank wolle mit der Bank, für die Mr Cumberland arbeitete, in Geschäftsbeziehungen treten. Er hatte mir einmal erzählt, dass seine Kollegen die Lage in Europa aufmerksam beobachteten, denn mit dem Krieg waren immer gute Geschäfte zu machen.
Nach diesen Offenbarungen war mir Penelope noch sympathischer, aber während ich das Gefühl hatte, endlich meinen Platz in der Welt gefunden zu haben, war sie schüchtern, und ich musste alle Register ziehen, um sie davon zu überzeugen, dass sie ebenso wie wir anderen an den Tisch des Kapitäns gehörte. Wir übten Tischmanieren. Ich lieh ihr zwei meiner neuen Kleider. Und ich brachte ihr bei, mit den Röcken zu rascheln und mit hoch erhobenem Kopf zu schreiten, den Blick auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Ich sagte ihr, sie solle lächeln und lachen – aber nicht zu breit oder zu laut –, wenn sie nicht wüsste, was sie sonst tun solle, und auch der Kapitän tat sein Bestes, um ihr Mut zu machen, indem er die Cumberlands vor allen anderen den Speisesaal betreten ließ, als sei es das Natürlichste der Welt.
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