In einem Boot (German Edition)
benahm sich merkwürdig aufgeräumt und verkündete, er würde uns einen Fisch fangen. Er zog sein langes Messer aus dem Gürtel, beugte sich über den Bootsrand und blickte angestrengt ins Wasser, das Messer hoch über dem Kopf erhoben. Die Wolken hatten sich verzogen, und die Sonne verwandelte den Ozean in eine glitzernde Fläche, durchscheinend wie ein Diamant, und es verging tatsächlich keine Stunde, bis Hardie das Messer ins Wasser stieß und einen riesigen Fisch ins Boot zog. Er war bestimmt einen Meter lang, flach und braun gefleckt. Er zappelte auf dem Boden des Bootes herum, bis Hardie ihn von den Kiemen bis zum After aufschnitt, woraufhin er noch zweimal zuckte und dann still lag.
»Mittagessen«, verkündete Hardie und hielt den Fisch hoch, der in der Sonne glänzte.
Isabelle fragte: »Sollen wir ihn etwa roh essen?« Und Hardie antwortete: »Nein, wir werden ihn in Knoblauchbutter dünsten.« Ich fragte mich unwillkürlich, wie das funktionieren sollte, weil ich einen Moment lang tatsächlich daran glaubte. Schließlich hatte Hardie es gesagt. Selbst nachdem er die tropfenden, ungekochten Fischfetzen ausgeteilt hatte, immer noch den rötlichen Schleim an den Händen, blieb mir die Illusion erhalten, und ich war in der Lage, das rohe Fleisch zu essen, ohne würgen zu müssen, während Greta es kaum an Mrs Grant vorbeischaffte, ehe sie sich über den Bootsrand beugte und erbrach. Mary Ann weigerte sich rundheraus, überhaupt etwas davon zu verzehren, bis ich ihr sagte, sie solle sich vorstellen, wir säßen an einer Hochzeitstafel und man hätte gerade den Fisch-Gang serviert.
Ich aß mein Fischstück langsam und bedächtig, weil ich wusste, wie wertvoll die Flüssigkeit und das Eiweiß für unsere ausgezehrten Körper waren. Der Fisch schmeckte leicht salzig, was daher kommen mochte, dass Mr Hardie ihn im Meer abspülte, nachdem er ihn ausgenommen hatte. Aber es war die Beschaffenheit des Fleischs, die mich am meisten überraschte. Es war nicht weich und flockig wie gekochter Fisch, sondern fest und muskulös, fast lebendig. Natürlich war ich schon auf Bauernhöfen gewesen und wusste, wo das Fleisch von Kühen und Schweinen herkam, und selbst in der Stadt konnte man lebende Hühner kaufen oder zuschauen, wie sie geschlachtet wurden. Ich machte mir keine Illusionen darüber, wie aus lebendigen Tieren Lebensmittel wurden. Aber bei diesem Fisch hatten wir uns der dünnen Membran, die das Leben vom Tod trennte, so weit angenähert wie noch nie zuvor, und mir wurde klar, dass wir uns so viele hübsche Namen einfallen lassen konnten, wie wir wollten – Coq au Vin, Bœuf Stroganoff oder Hummer Newburg –, es blieb eine Tatsache, dass unser Leben von der Fähigkeit abhing, uns andere Lebewesen nutzbar zu machen.
Der Fisch versetzte uns in eine Art Festtagsstimmung. Als Anya Robeson Charlie sagte, er solle sich vorstellen, er würde ein Stück Mohnkuchen essen, kamen wir alle auf die Idee, unsere Leibspeisen zu nennen und uns einzubilden, dass wir einen Teller davon vor uns hätten. Der Colonel machte einen Witz über die Armeerationen, und Mrs McCain ließ es sich nicht nehmen, alle Speisen eines typischen Sonntagsessens in ihrem Haushalt aufzuzählen. Mary Ann wiederholte lediglich meine Worte über das Hochzeitsbankett, aber als ich an der Reihe war, sagte ich: »Im Augenblick kann ich mir nichts Köstlicheres vorstellen als rohen Fisch. Ich glaube, ich bin auf den Geschmack gekommen.«
»Gut, denn morgen gibt’s noch mehr davon«, sagte Mr Hardie. Als er das sagte, suchte er meinen Blick und hielt ihn fest. Er neigte das Kinn zu einem knappen Nicken, als hätte ich mir auf irgendeine Weise seine Anerkennung verdient. Ich nickte ebenfalls, und den ganzen restlichen Tag durchströmte mich ein Hochgefühl, ausgelöst durch diesen kurzen Austausch. Ich hatte lange darauf gewartet und schon nicht mehr damit gerechnet. Im weiteren Verlauf unserer Reise suchte ich immer wieder seinen Blick, aber entweder bemerkte er mich nicht oder er gab vor, es nicht zu tun, und ich wünschte, ich wäre mit jenem kleinen Krumen Beifall zufrieden gewesen, anstatt nach mehr zu verlangen.
Der Fischfang trug entscheidend dazu bei, dass wir die Zuversicht wiederfanden, die uns nach der Episode mit den nächtlichen Lichtern abhandengekommen war. Noch dazu schien es ganz einfach zu sein: Gerade hatte Hardie sein Messer gezogen und spähte ins Wasser, und im nächsten Moment zog er Nahrung aus dem Ozean. Als er das Kunststück am
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