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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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Nachmittag wiederholte, konnten Maria und Lisette ihre bewundernden Augen kaum mehr von ihm abwenden.
    Der Diakon hatte ein paar Gebetsworte über dem Fisch gesungen, und obwohl wir jeweils nur ein paar Happen gegessen hatten, empfanden wir eine gewisse körperliche Befriedigung, zum einen, weil wir wieder an einen gnädigen Gott glaubten, zum anderen, weil wir gesehen hatten, dass Hardie nur mit dem Messer in den Rücken des Meeres stechen musste, um uns zu beschaffen, was wir zum Überleben brauchten. Doch nach diesen beiden Fischen gelang kein weiterer Fang mehr. Jeden Tag hofften wir, dass das Meer sein Füllhorn öffnen würde, und als es Hardie nicht gelang, unserer Erwartung nachzukommen, betrachteten wir es als bewusste Vorenthaltung seinerseits. Wir machten ihn dafür verantwortlich, nicht etwa die Vorsehung oder die Tatsache, dass kurz nach dem zweiten Fang Wind aufgekommen war und es nicht mehr möglich war, unterhalb der kobaltblauen Oberfläche des Wassers irgendetwas zu erkennen. Der Anblick des flachen Meeres, den wir fünf ganze Tage lang genossen hatten, entglitt unserem Bewusstsein als etwas Vergangenes und etwas Zukünftiges, fort von unserer kurzsichtigen, gegenwärtigen Einbildungskraft.
    Der Fisch wurde zu einem Symbol für das, was Hardie zu tun vermochte, wenn er wollte, oder was er tun würde, wenn wir uns gut benahmen und seine Pläne nicht weiter infrage stellten. Sein Versagen, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, war nicht der einzige Grund für einen stetig wachsenden, unterschwelligen Ärger. Er ließ nicht davon ab, einen Wetterwechsel zu prophezeien. Er sagte: »Wenn es so weit kommt, werden Sie selbst sehen, dass zu viele in diesem Boot sitzen.« Aber wir wollten nicht auf ihn hören. Es machte uns wütend, weil wir nicht wussten, was wir dagegen tun sollten, selbst wenn es wahr wäre. Sollten wir das Zeitliche segnen wie Mrs Fleming? Aber diese Gefühle von Zorn und Zweifel kamen nicht von einer Sekunde auf die andere; sie entwickelten sich allmählich. Am Abend des fünften Tages waren wir Hardie noch dankbar für das Wunder der Fische.
    Der Diakon zitierte gerne aus der Bibel, und er nahm die Gelegenheit wahr, uns von der Speisung der Fünftausend zu erzählen, wo sich Brot und Fische auf wundersame Weise vermehrten. Jedes Mal wenn er zu einer Parabel oder einem Psalm ansetzte, verstummten Mary Ann und Isabelle, und Anya Robeson setzte den kleinen Charles auf ihren Schoß und hielt ihm ausnahmsweise einmal nicht die Ohren zu, damit er dem Diakon lauschen konnte. Ich muss zugeben, dass auch ich mich von den vertrauten Geschichten einlullen ließ, obwohl einige davon ziemlich grausam waren. Die Menschen schätzen Wiederholungen. Sie wissen gern im Voraus, wie eine Geschichte endet, selbst wenn dieses Ende bedeutet, dass alle außer Noah in der Sintflut ertrinken. Der Diakon erzählte eine Geschichte, die wir alle kannten, und zog dann Parallelen zu unserer Situation im Boot. Die Episode mit der Arche kam da natürlich sehr gelegen. Aber der Diakon war kreativ und passte auch die Prüfungen, die Moses in der Wüste auferlegt wurden, und die Teilung des Roten Meeres unserem Schicksal an. Er lehrte uns das Lied des Meeres , in dem Gott die Auserwählten rettet, während er die Feinde wie Steine im Meer versinken lässt, damit wir es bei unserer Rettung aufsagen konnten.
    Mr Sinclair behauptete, dass die Geschichte mit Noahs Arche aus einer älteren und heidnischen Kultur stamme. »Babylonische Mythen über eine Sintflut beinhalten nicht nur den schier endlosen Regenguss und die Überschwemmungen, sondern auch andere vertraute Elemente – den Raben und die Taube beispielsweise. Das kann kein Zufall sein«, meinte er, aber der Diakon wies diese Vorstellung als Ketzerei zurück. Mary Ann wurde nervös, nicht wegen der Sache mit der Ketzerei, sondern weil sie nicht wusste, auf welche Seite sie sich in dieser Debatte stellen sollte, auf die des Diakons oder auf Mr Sinclairs, die, wie ich ihr erklärte, ich vertrat. Glücklicherweise war Mr Sinclair nicht nur ein gelehrter Mann, sondern auch ein Friedensstifter, und er glättete die Wogen, indem er Boccaccio zitierte, der darüber schrieb, dass die Menschen eher das Schlechte als das Gute glaubten und es ohne Rätsel keine Poesie geben könne.
    Während die Tage vergingen, fing ich an, mich zu fragen, ob Hardie tatsächlich diese zwei Fische gefangen hatte oder ob wir alle einer Massenhalluzination erlegen waren. Die Gegenwart schien wie

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