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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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»Selbst wenn Sie in Ihrem Herzen nicht glauben, dass Sie dazugehören«, sagte ich zu ihr, »können Sie doch so tun, als ob.«
    Der einzige Streit, den Henry und ich je hatten, fand an Bord der Zarin Alexandra statt. Er hatte mich glauben lassen, dass seine Eltern den wahren Grund kannten, warum er seine Verlobung mit Felicity Close gelöst hatte, und jedes Mal wenn ich ihn danach fragte, sagte er: »Sie wissen alles.« Oder: »Ich kann Felicity gar nicht heiraten, weil ich sie nicht liebe. Es wäre ihr gegenüber nicht fair, und das habe ich ihnen gesagt.« Schließlich jedoch kam heraus, dass er mich bei der ganzen Sache mit keinem Wort erwähnt hatte. »Aber was wird sein, wenn wir nach New York zurückkommen?«, wollte ich wissen. »Wie wirst du meine Anwesenheit erklären? Es wäre doch wohl besser, wenn deine Eltern Bescheid wüssten.«
    »Es wird ein paar Tage dauern, um alles zu arrangieren, aber ich möchte es ihnen lieber persönlich sagen«, meinte Henry. »Und natürlich muss ich für uns ein Haus finden – aber mach dir bitte keine Sorgen: Du darfst alle Möbel und alle Vorhangstoffe aussuchen.« Er versuchte, mich mit der Einrichtung unseres neuen Heims zu locken, so wie ein Fischer einen glitzernden Köder ins Wasser wirft, in der Hoffnung, ein Fisch wäre so dumm und würde anbeißen. Aber ich war kein dummer Fisch. Ich biss nicht an. »Und was soll ich in der Zwischenzeit tun? Wo soll ich wohnen?«
    »Kannst du nicht bei deiner Mutter bleiben? Ich dachte, du würdest bei ihr wohnen.«
    »Sie ist zu ihrer Schwester nach Philadelphia gezogen. Außerdem will ich mit dir zusammen sein!«
    Henry legte mir die Hand auf die Schulter und sagte »Liebling«, etwa drei- oder viermal hintereinander, aber ich schüttelte seine Hand ab. »Du willst mich verstecken!«, rief ich aus, als ich endlich die volle Bedeutung seiner Worte begriff. Als er merkte, dass ich nicht nachgeben würde, willigte er widerstrebend ein, noch an diesem Nachmittag vom Funkraum des Schiffes aus eine Nachricht an seine Mutter zu schicken und sie darüber zu informieren, dass er eine Ehefrau mit nach Hause brachte. Erst im Nachhinein hat sich die wahre Bedeutung dieser Szene herausgestellt, denn wenn Henry diese Nachricht nicht geschickt hätte – und ich fragte mich so manches Mal, ob er es getan hatte –, dann wäre es gewesen, als hätten wir nie geheiratet, denn jeder Beweis für diesen Umstand wäre mit Henry im Meer untergegangen. Natürlich hatte der Friedensrichter in London, der unsere Eheschließung vollzogen hatte, einen Nachweis darüber, aber er war weit weg, und sein Land befand sich im Krieg.
    Penelope und ich sprachen darüber, dass die Welt uns plötzlich größer und gefährlicher vorkam, weil Staaten, von denen wir noch nie zuvor gehört hatten, uns alle in ihre Angelegenheiten mit hineinzogen. Jetzt, wo ich dies schreibe, weiß ich, dass eine kleine Welt, die in sich zusammenfällt, bis nur noch ein einziges Stück Holz übrig ist, ebenfalls gefährlich sein kann. Während der Tage im Rettungsboot überlegte ich, ob es eine perfekte Größe für die Welt gab – eine gut ausbalancierte Ansammlung von Dimensionen, wo die Dinge nicht überkochten und ich in Sicherheit war. Als Kind hatte ich geglaubt, dass die Stellung meiner Familie in der Welt felsenfest sei, und dann verlor mein Vater sein Geld und schoss sich eine Kugel in den Kopf. Meine Mutter warf nur einen Blick auf das Blut, das auf unserem blank polierten Boden gerann, ließ das Paket mit den frisch gesäumten Leintüchern fallen und verlor den Verstand. Ich hatte auch geglaubt, die Zarin Alexandra sei sicher. Einen einzigen Augenblick voller Naivität hatte ich alles, was ich brauchte – sogar mehr, als ich brauchte. Aber auch das war nur eine schöne Illusion gewesen. Ich fragte mich, ob alles, worauf der Mensch hoffen darf, Illusion und Glück waren, denn mir wurde die Erkenntnis aufgezwungen, dass die Welt in ihrem Grundsatz ein erschreckend gefährlicher Ort ist. Das ist eine Lektion, die ich nie vergessen werde.

Teil II

Fünfter Tag
    Erst nachdem der Diakon ein Gebet über Mrs Flemings Leichnam gesprochen und dieser von Mr Hardie und dem Colonel dem Wasser übergeben worden war, fiel uns auf, dass nur noch eins der anderen Rettungsboote in Sicht war. Das andere hatten wir während der Nacht verloren. Ich merkte, dass es die Leute erschütterte, so kurz nach Mrs Flemings Tod mit neuen schlechten Nachrichten konfrontiert zu werden, aber Hardie

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