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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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festgefroren, unbeweglich, die Vergangenheit geschrumpft und in weite Ferne gerückt, ein Gegenstand der Interpretation, wie der Abschnitt eines komplizierten theologischen Textes. Es befand sich durchaus im Bereich des Möglichen, dass wir alle in diesem Boot geboren worden waren, genauso wie es möglich war, dass wir jeder eine individuelle Vergangenheit hatten, Vorfahren und eine Blutsverbindung in die Vergangenheit. Was die Zukunft betraf, so war sie unzugänglich, selbst für die Fantasie. Wo war der Beweis, dass es sie überhaupt gab? Oder geben würde? Wie die Fische war auch sie eine Sache des Glaubens.

Nacht
    Es war erstaunlich, welche Wirkung ein kleines bisschen Nahrung in unseren Bäuchen auf unseren Geist hatte. Während wir uns gegen die abendliche Kühle eng aneinanderdrängten, setzte Mrs Cook erneut zu einer ihrer Klatsch- und Tratschgeschichten an, diesmal gespickt mit persönlichen Details über die königliche Familie, von denen sie keinerlei Kenntnisse haben konnte. Trotzdem unterhielt sie uns aufs Beste, und ich merkte, dass auch ich an ihren Lippen hing, genauso wie alle anderen Frauen in unserem Teil des Bootes. Als ihr die Geschichten ausgingen, erzählte uns Mary Ann von den Leuten in ihrem gesellschaftlichen Kreis, aber ihre Worte hatten keinen rechten Zusammenhang und waren von etlichen Seufzern und Ausrufen begleitet.
    Es gab noch eine andere Art von Geschichten, die im Boot umgingen, besonders abends, wenn uns jede Form von Zeitvertreib recht war. Es waren heimliche Geschichten, Geschichten, die im Flüsterton erzählt wurden, Bruchstücke von Geschichten, manchmal nur ein Eindruck oder ein belauschter Satz oder ein Blick, den jemand entdeckt zu haben glaubte. Isabelle war Expertin für Gesichtsausdrücke: »Haben Sie gesehen, wie Mr Hardie mich gerade angeschaut hat?«, sagte sie erschauernd und fügte dann hinzu: »Nur jemand, der überhaupt keine Manieren hat, würde einen anderen so gierig anstarren.« Ein einziger Blick öffnete die Tür zu einer ganzen Sammlung an Spekulationen, und es waren diese Spekulationen, die für die Ankläger so interessant waren und die sie für bare Münze nahmen. Isabelle setzte das Gerücht in die Welt, dass Hannah und Mrs Grant einen Code entwickelt hätten, der keiner Worte bedurfte, nur Nicken, Gesten und Blicke, und Isabelle sei in der Lage, diesen Code zu dechiffrieren. Sie sagte mir einmal, dass ein besonders grimmiger Blick, den Hannah Mr Hoffman zugeworfen hatte, ein Hexenfluch gewesen sei, und als Hoffman später stolperte und beinahe aus dem Boot gefallen wäre, schaute sie mich vielsagend an und hauchte: »Sehen Sie?«
    Wenn man jemandem eine Information unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatte, konnte es passieren, dass der andere diese Information als seine eigene ausgab und sie gleichzeitig veränderte. Ich erzählte Mary Ann, wie ich die Gunst von Henrys Mutter zu gewinnen dachte, und nachdem die Geschichte die Runde gemacht hatte und zu mir zurückgekehrt war, handelte sie davon, dass Henrys Mutter sich weigerte, mich zu empfangen. Falsche Gerüchte kann man nicht bekämpfen, ohne die Sache noch schlimmer zu machen, und so versuchte ich erst gar nicht, irgendetwas richtigzustellen, sondern beschloss lediglich, meine persönlichen Angelegenheiten in Zukunft für mich zu behalten.
    Ich hörte, wie Mrs Cook Mrs McCain weismachte, dass sie mitangesehen habe, wie sich Mr Hardie und Captain Sutter am Tag unserer Abreise heftig zankten. Sie habe damals noch nicht gewusst, wer Mr Hardie war, und sich lediglich später ihren Teil gedacht, sagte sie. Aber es habe ganz so ausgesehen, als habe Mr Hardie kurz davor gestanden, entlassen zu werden. Die Auseinandersetzung endete damit, dass Mr Hardie sich augenscheinlich irgendwelchen Bedingungen des Kapitäns beugte, der ihm hinterherrief: »Und wenn Sie sich nicht daran halten, dann werde ich Sie persönlich über Bord werfen!« Die beiden Frauen verbrachten einen ganzen Nachmittag damit, über diesen Vorfall zu spekulieren, als ob er irgendeine maßgebliche Bedeutung hätte, wodurch alles, was uns an Mr Hardie Rätsel aufgab, erklärt werden könnte und wir uns nun auf die Ereignisse im Boot, deren Zeugen wir geworden waren, einen Reim machen könnten. Tage später, als ich neben Mrs Cook im Schlafraum lag, erzählte sie mir dieselbe Geschichte, aber mit mehr Einzelheiten. Mr Hardie hatte uns mittlerweile mehr über den Offizier namens Blake erzählt, und nun erklärte Mrs Cook, dass

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