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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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war, die einige Männer überkommt, wenn sie sich an bedeutsamen Scheidewegen ihres Lebens befinden. Ich musste auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er krank gewesen war oder an einer geistigen Störung gelitten hatte. Und so schwieg ich, statt der Frage Ausdruck zu verleihen, die mein ganzes Sein beschäftigte, denn mir war klar, dass ich nur dann die Wahrheit erfahren würde, wenn ich ihm das Reden überließ.
    Ich hatte ein helles Kleid gewählt und meine Augen dunkel umrandet, sodass sie in meinem aschfahlen Gesicht übergroß wirkten. Es war nicht im eigentlichen Sinne eine Kostümierung oder eine Täuschung, sondern eine Art Hinweis. Ich wollte Henry wissen lassen, dass ich nicht stark genug war, um ihn zu verlieren. Ich wollte ihm beweisen, dass ich für sein persönliches und berufliches Leben eine unschätzbare Bereicherung sein konnte, auf keinen Fall aber störrisch oder kompliziert war.
    »Ich muss dich um Verzeihung bitten«, begann Henry mit formeller Haltung und kaum einem Funken der gestrigen Leidenschaft in den Augen. »Ich habe mich schlecht benommen; es wird nicht wieder vorkommen.« Er zögerte, und ich hatte entsetzliche Angst, dass dies das Ende war, dass er an seinem Hochzeitstermin mit Felicity Close festhalten würde. Der Termin, der in der mittlerweile zerlesenen Ausgabe der Times abgedruckt war, war in vier Wochen. Henry würde zu seiner Verlobten zurückkehren, nachdem er sich ausgetobt hatte, und ich würde im Zug nach Baltimore sitzen mit nichts weiter als der Erinnerung daran, was hätte sein können …
    Aber Henry blickte mir unverwandt in die Augen, und was ich dort sah, schmolz das Eis, das sich um mein Herz gelegt hatte, und ich wagte zu träumen. Ich wagte zu hoffen. Ich wollte auf ihn zustürzen und die zögerlichen Worte aus ihm herausschütteln. Er musste mir doch sagen – auf die eine oder andere Art –, welches Schicksal mich erwartete. Ich stand still wie eine Statue, und obwohl ich anderthalb Meter von ihm entfernt war, fühlte ich die Hitze, die von seinem Körper ausging, als er sagte: »Und wenn ich in alle Ewigkeit verdammt sein sollte wegen dem, was ich Felicity antue, so will ich doch niemand anderen als dich zur Frau.«
    Henry erklärte mir, dass dieser Rückzug behutsam erfolgen musste, denn die beiden Familien waren gut befreundet. Es störte mich nicht, dass er mich eine Zeit lang geheim halten musste, denn das machte unsere gemeinsame Zeit zu einem beinahe frivolen Vergnügen. Ich stellte keine Fragen über das Mädchen, mit dem er verlobt war, aber man möge mir verzeihen – oder vielleicht auch nicht –, dass ich die Theorie äußerte, auch sie könnte eine Gefangene der Umstände sein und sich durch Henrys Entscheidung befreit fühlen, selbst wenn sie sich anfangs nicht darüber im Klaren war. Er wirkte kindlich und voller Hoffnung, als ich dies sagte, als ob ich seine Lieblingstante wäre, die ein heiß ersehntes Geschenk hinter dem Rücken verbarg. Keiner von uns glaubte auch nur eine Sekunde an die Wahrheit meiner Worte, aber es war ein nützlicher Schwindel, der Henry die Möglichkeit gab, Felicitys Motive für ihr Jawort so weit infrage zu stellen, um es ihr zurückzugeben.

Teil III

Neunter Tag
    Am nächsten Morgen entdeckte Lisette etwas, was steuerbord im Wasser trieb. Bei näherem Hinsehen stellte es sich als Rebeccas Haube heraus, und ich zitterte vor Angst, dass das Nächste, was wir im Wasser dahintreiben sahen, Rebecca selbst sein könnte.
    Mary Ann fing an zu weinen und zu jammern. Es war ein mitleiderregendes Geräusch und wäre herzzerreißend gewesen, wenn ich nicht längst jenseits allen Mitleids gewesen wäre. Im Übrigen konnte ich einfach die Tatsache nicht leugnen, dass zwei Leute weniger im Boot unser aller Vorteil war. Und es gab ja nichts, was wir dagegen tun konnten. Nach einer Weile ging mir Mary Ann schrecklich auf die Nerven, und ich hätte sie am liebsten gewürgt. Mrs Grant, die zwei Reihen vor uns saß, bahnte sich ihren Weg nach hinten, quetschte sich zwischen uns und legte ihren Arm um Mary Anns Schultern. Es dauerte weit mehr als eine Stunde – fast zwei Schöpfschichten –, ehe sie sich wieder beruhigte und an Mrs Grants unerschütterlicher Schulter einschlief. Aber mein Widerwille wollte nicht weichen. Warum wurde Schwäche derart belohnt? Auch ich hätte mich gern bei Mrs Grant angelehnt, wobei ich mich gleichzeitig ein wenig vor ihr fürchtete. Und ich hätte nie im Leben darum gebeten. Sie verhielt sich

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