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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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»Es ist Rebecca«, sagte sie. Ich sah, wie eine der Italienerinnen das zerzauste Haar aus Rebeccas Gesicht strich, sah ihren Mund offen stehen und ihre Augen, die nach oben verdreht waren.
    Der Diakon sprach ein Gebet und der Colonel gab Rebeccas Rettungsweste einer der Schwestern. Dann hoben der Colonel und Mr Hardie sie hoch und ließen sie über die Bootskante ins Meer gleiten. Ihr Kleid, das sie, nachdem es getrocknet war, wieder angezogen hatte, bauschte sich wie Vogelschwingen auf und hielt sie noch kurze Zeit über Wasser. Dann versank sie und mit ihr der letzte Funken Hoffnung für mich selbst.

Henry
    Zum ersten Mal sah ich Henry auf einem Foto im Gesellschaftsteil der New York Times : »Sohn von … angestellt bei … verlobt mit …« und so weiter, eingebunden in eine detaillierte Schilderung über eine glanzvolle Verlobungsfeier und den beeindruckenden Stammbaum der Braut. Es war eine fesselnde Schilderung, und die Information kam zu einer Zeit, als mein Leben so wie das meiner Schwester auf eine Anstellung als Gouvernante zusteuerte. Ich war aufgewachsen mit der Erwartung von sich ständig vervielfältigenden und erweiternden Aussichten, angefangen mit der Quelle meiner Geburt über die immer breiter werdenden Rinnsale und Bäche aus Möglichkeiten und Hoffnungen, bis ich eines Tages in einem fruchtbaren Delta landen würde, wo sich der letzte breite Strom schließlich mit einem Ozean günstiger Gelegenheiten vereinigen würde. Das hört sich heute wie eine ahnungsvolle Metapher an, aber damals schien es mir passend zu sein für jenes sonnige und glänzende Ziel, in dem ich auf immer und ewig glücklich leben würde: verheiratet zu sein. Als meine Eltern ins Unglück gestürzt wurden, war Miranda mit einem jungen Arzt liiert, aber ihre Beziehung überlebte das turbulente Jahr nicht, das auf den Tod meines Vaters folgte. Statt ihrem Liebsten monatelang nachzuweinen, schien Miranda nur kurz verstört zu sein. Sie überdachte ihre Alternativen, sammelte Empfehlungsschreiben und riet mir, mich niemals auf Gedeih und Verderb einem Mann auszuliefern.
    »Aber dann bist du eine berufstätige Frau!«, rief ich entgeistert. Ich war der festen Überzeugung, dass sie sich mit ihrer Entscheidung ins Unglück stürzen würde.
    »Ich bin mein eigener Herr«, erklärte sie.
    »Du bist kaum mehr als eine Dienstmagd«, konterte ich, aber ob sie nun einem Prinzip folgte, an das sie wirklich glaubte, oder ob sie sich dieses Prinzip erst im Laufe der Ereignisse angeeignet hatte und es ihr half, die für sie einzige vorstellbare Lösung zu akzeptieren, sie gab jedenfalls nicht nach, sondern fuhr mit dem nächstbesten Zug nach Chicago und überließ es mir, eine bezahlbare Unterkunft für mich und meine Mutter zu finden. Wir zogen in das obere Stockwerk eines Hauses, das einem Bekannten unseres Anwalts gehörte. Die meisten Möbel hatten wir verkauft und den Rest unserer Habseligkeiten in Kisten gepackt. Ich betrachtete dieses Arrangement als vorübergehend und packte nur das aus, was wir zum täglichen Leben brauchten. Der Rest blieb in den Kisten, die in einem kleinen Zimmer aufgestapelt waren.
    Dass Henry verlobt war, schien das kleinste Hindernis zu sein. Ich gewann dem Umstand sogar etwas Positives ab, denn wie sonst hätte er mir auffallen sollen, wenn nicht durch den Artikel über seine Verlobungsfeier in der Times ? In derselben Ausgabe – auf die ich zufällig gestoßen war, als ich eine Schachtel mit Kristallkelchen auspackte, die irgendwie der Versteigerung unserer Kostbarkeiten entgangen waren –, fand ich einen Artikel mit der Überschrift »Londoner Börse im Höhenflug«, in dem es um Gold und kurzfristige Anleihen ging. Dabei wurde genau das Institut erwähnt, über das ich gerade in dem Bericht über Henrys Verlobung gelesen hatte. Es war das Bankhaus, in dem Henry arbeitete.
    Das Auspacken war vergessen. Stattdessen las ich sorgfältig den Artikel, um kein Detail zu übersehen. Dann erkannte ich, dass die Zeitung, die ich las, bereits drei Monate alt war.
    Schon bei unserer dritten Verabredung stellte Henry die Theorie auf, dass jedem Menschen eine große Liebe vergönnt sei und dass jeder selbst schuld sei, der das Glück hatte, ihr zu begegnen, und sie dann ignorierte. Ich erwiderte, dass meiner Meinung nach nur wenige Menschen so glücklich seien, zur selben Zeit und am selben Ort geboren zu sein wie ihre eine große Liebe, dass aber andere – vermutlich die meisten – entweder vor oder nach der

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