In einem Boot (German Edition)
den Sturm auszusitzen. Wir klammerten uns aneinander, wie ich mich an die letzten Überbleibsel meines Glaubens klammerte. Mrs Grant und Mr Preston taten ihr Möglichstes, um mit dem vierten Ruder zurechtzukommen, aber sie alle hatten dem tobenden Sturm nichts entgegenzusetzen. Trotzdem war ich froh über ihre Anstrengungen und bewunderte sie, wie sie mit den langen Stecken kämpften. Ihre Schufterei war zwar nutzlos, aber sie weigerten sich aufzugeben. Mit einer Hand packte ich den Sitz, damit ich nicht aus dem Boot geworfen wurde wie ein Reiter von einem sich aufbäumenden Pferd, und mit der anderen hielt ich Mary Ann fest, die neben mir saß und mich mit beiden Händen umklammerte, als wäre ich eine stabile Planke, die sie über Wasser halten würde.
Was unsere Not noch vergrößerte, war der sintflutartige Regen, der von oben auf uns niederhämmerte, und die Blitze, die über den Himmel zuckten. Wir konnten kaum die Länge des Bootes überblicken, so dunkel war es, und wenn ich sage, dass sich die Wellen acht oder zehn Meter hoch auftürmten, ist dies reine Mutmaßung. Hardie erklärte uns später, dass sie sogar gut und gerne zwölf Meter hoch waren, aber ich kann nicht sagen, woher er das wissen wollte. Manchmal stieg das Boot auf eine Welle hinauf und hing einen Moment lang hoch oben, ehe es sich wieder in die Tiefe stürzte wie ein Schlitten einen eisigen Abhang hinunter. Unsere Mägen drehten sich um und wurden in unseren Leibern hin und her geworfen, aber manchmal hatten wir weniger Glück, und die Welle schlug gegen unsere Schultern und ergoss sich in das Boot, in dem uns das Wasser mittlerweile bis zu den Knien stand. Aber noch sank der kleine Kutter nicht.
In den Minuten, ehe uns die Sturmfront traf, ordnete Mr Hardie einen Schichtwechsel bei den Ruderern an und reichte die beiden leeren Zwiebackdosen Hannah und Isabelle, die sogleich anfingen zu schöpfen. Dann riss er die Deckel von den beiden Fässern ab, die er so eifersüchtig gehütet hatte, als ob sie noch immer Trinkwasser enthielten, und Colonel Marsh und Mr Hoffman hatten alle Mühe, das glitschige Holz festzuhalten, damit ihnen die Fässer beim Ausleeren des Wassers nicht ins Meer fielen. Unermüdlich steuerte Hardie das Boot gegen die Wellen, während die Ruderer ihr Bestes taten, um ihn dabei zu unterstützen. Das Boot wurde derart heftig herumgeworfen, dass nur jeder fünfte Versuch, die Fässer über die Seite zu entleeren, Erfolg hatte. Trotzdem ließ keiner in seinem Bemühen nach. Sie waren wie wahnsinnig, sie waren heldenhaft in ihrer Beharrlichkeit, und ich weiß nicht, was wir ohne diese fünf starken Männer getan hätten. Was, wenn der Colonel einen kurzen Splitter gezogen hätte oder Mr Nilsson oder Hardie selbst? Michael Turner war bei Weitem der älteste der Männer gewesen und der Diakon schwach und dürr; und obwohl Mr Sinclair über beeindruckende Armmuskeln verfügt hatte, konnte er sich doch nicht im Boot bewegen.
Mit einem entsetzten Schaudern wurde mir klar, dass das kein Zufall sein konnte, auch wenn mir der Taschenspielertrick, mit dem dieses Ergebnis herbeigeführt worden war, entgangen war. Hardie hatte nicht aufs Geratewohl losen lassen, sondern er hatte bestimmt, wer leben durfte und wer sterben musste. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass das Böse in diesem Boot umging und dass es der Teufel höchstpersönlich war, der dafür sorgte, dass ich noch am Leben war.
Es dauerte nicht lange, da rutschte Mr Hoffman das Fass aus den Händen und verschwand sofort in dem Mahlstrom des Meeres. Hardie sagte kein Wort, sondern schob Hoffman sein Ruder zu und riss den Deckel des dritten und letzten Fasses ab. Diesmal gab er es nicht weiter, sondern machte sich selbst an die Arbeit, stieß es ins Wasser und wuchtete es über die Seite nach draußen. Aber mir war nicht entgangen, dass in diesem Fass kein Regenwasser gewesen war, sondern ein kleines Kästchen, das Hardie hastig in die Innentasche seiner Jacke gestopft hatte. Damals dachte ich mir nichts dabei, nur dass Hardie gute Arbeit geleistet hatte, das Wasser so stark zu rationieren, dass es möglichst lange vorgehalten hatte.
Ein weiteres Ereignis ragt in meiner Erinnerung aus jenen schrecklichen, sturmgepeitschten Stunden heraus. Der dunkle Tag ging in eine noch dunklere Nacht über. Der Regen war erbarmungslos. Es war, als wären Meer und Himmel miteinander verschmolzen. Und immer noch stieg das Boot nach oben oder fiel in die Tiefe. Trotz des übelkeiterregenden
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