In einem Boot (German Edition)
gab schon genügend Jastimmen, die Entscheidung war gefallen, und so flüsterte ich, als Mrs Grant und Hannah sich mir zuwandten: »Ich enthalte mich. Sie brauchen meine Stimme nicht. Tun Sie, was Sie wollen.« Ich weiß nicht, ob Hardie meine Worte hörte; ich schüttelte den Kopf und hoffte, er dachte, ich hätte dagegen gestimmt. Ich fühlte mich dem Mann immer noch irgendwie verpflichtet – Männern im Allgemeinen – und natürlich auch Gott, den ich immer für einen Mann gehalten hatte, während ich ihn mir jetzt immer in flüssiger Form vorstellte, wie er kapriziös auf und nieder wogte, uns ängstigte, er würde uns ertränken, uns aber gleichzeitig am Leben ließ, damit wir weiterhin seine Launenhaftigkeit und seine Machtspielchen ertrugen.
Hannah zischte etwas. Ihr ausgemergeltes Gesicht verzog sich zu einer Fratze. Die Wunde, wo das Messer sie aufgeschlitzt hatte, leuchtete rot auf ihrer Wange. Ich konnte nicht hören, was sie sagte, aber bis zum heutigen Tage sehe ich vor mir, wie sich ihre aufgeplatzten und blutigen Lippen, einer weiteren Wunde gleich, öffneten und schlossen. »Feigling«, schien sie zu sagen, aber Mrs Grant besänftigte sie mit einer leichten Berührung und wandte mir ihren undurchdringlichen Blick zu. Ich fühlte mich getröstet, denn auch ich stand zumindest teilweise in ihrem Bann. Mrs Grant hatte diese besondere Gabe, dass jeder Mensch sich verstanden fühlte. Auf die anderen Frauen übte sie eine stärkere Wirkung aus als auf mich. Sie wechselten bedeutsame Blicke mit ihr, und einige von ihnen waren so mutig geworden, Hardie ohne Furcht und mit Aufsässigkeit in den Augen anzuschauen.
Wenn man die Italienerinnen mitzählte, die ihre Hände erhoben und ein Wehklagen anstimmten, wobei es jedem selbst überlassen blieb zu entscheiden, ob sie begriffen, worum es ging oder nicht, stimmten alle Frauen außer Anya und mir, ohne zu zögern, zu, Mr Hardie zu töten. Alle Männer votierten dafür, ihn am Leben zu lassen. Ich weiß nicht, wie meine Wahl ausgesehen hätte, wenn man mich gezwungen hätte, mich zu entscheiden. Ich schaute zu Mr Hardie hin. Er fixierte mich mit einem bösen, gemeinen Blick, und in diesem Moment hätte ich sie alle zum Teufel geschickt, jeden Mann und jede Frau in diesem Boot, jedes einzelne verdorbene menschliche Wesen.
Ich muss wiederholen, dass wir schwach waren. Selbst ich muss mir diese Tatsache ständig ins Gedächtnis rufen, obwohl ich doch dabei war. Ich habe es erlebt. Die ehrenwerten Richter scheinen nicht in der Lage zu sein, die Umstände, unter denen wir handelten, zu begreifen. Und wie könnten sie auch? Ich mache ihnen nur den Vorwurf, dass sie nicht begreifen, dass sie nicht begreifen können. Mein Sehvermögen schien sich verdoppelt zu haben, wie ein Echo. Bilder überlappten sich, rot und gelb eingefärbt; Gesichter, Formen und Muster verschwammen, und alles wurde eingerahmt vom Glitzern der Sonne auf dem Meer. »Antrag angenommen«, sagte Mrs Grant. Die Italienerinnen schauten begierig und mit aufgerissenen Augen zu, als ob jetzt die Tür zu unserer Erlösung offen stand. Mary Ann neben mir wimmerte und wurde von krampfartigem Schluchzen geschüttelt. Ich hasste sie dafür. »Hör auf!«, schrie ich. »Was nützt es denn? Reicht es denn nicht, dass wir uns das ständige Heulen des Windes anhören müssen?« Doch dann übermannte mich die Hoffnungslosigkeit wie eine von diesen gnadenlosen grünen Wellen, und ich schlang die Arme um sie. Wir klammerten uns aneinander. Ihre blonden zotteligen Locken fielen gegen meine Wange und meine schwarzen und verfilzten Haare gegen ihre.
Also musste Mr Hardie sterben. Das Problem war nur, wie man ihn aus dem Boot schaffen sollte. Er kauerte achtern wie der elende Köter, der er war, bleckte die gelben Zähne und knurrte. »Noch habt ihr mich nicht, noch habt ihr mich nicht«, kläffte er, und wenn die Abstimmung nicht vorbei gewesen wäre, hätte ich in diesem Moment meine Stimme erhoben und gebrüllt: »Bringt den elenden Bastard um!«
Mr Hardie hatte den Deckel von einem der Wasserfässer abgenommen und hielt ihn wie einen Schild vor sich. Hannah war zu ihm gekrochen und griff danach, wollte den Deckel beiseitestoßen, aber sie hatte nicht genügend Kraft. Als sie sich ihm näherte, stieß Mr Hardie seinen Schutzschild nach vorn und wollte sie damit schlagen. Aber er konnte seinen verletzten Arm so gut wie gar nicht mehr bewegen, und er war so schwach, dass er rückwärts gegen die Bordwand
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