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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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Verteidigung zu sagen?«
    Hardie antwortete: »Wenn Blake und ich etwas gestohlen haben, etwas, was ansonsten auf den Grund des Meeres gesunken wäre, wo es bis in alle Ewigkeit im Schlamm vergraben gewesen wäre, würde ich Sie fragen: Was wissen Sie denn davon, wie es ist, arm zu sein? Sie, die immer alles hatten! Die Armut ist wie ein Schiffswrack. Es ist leicht, moralisch zu handeln, wenn die grundlegenden Bedürfnisse befriedigt werden. Und wenn wir nichts gestohlen haben, dann würde ich sagen: Ich wünschte, wir hätten es doch getan.«
    »Sie sind nicht des Diebstahls angeklagt, ob nun wegen des Kästchens, das Sie uns vorenthalten haben, oder wegen etwas Größerem, das sich in dem anderen Boot befindet«, gab Mrs Grant zurück. »Aber was sagen Sie zu der Anschuldigung, dass Sie unsere Chancen auf Rettung verringert haben, indem Sie uns von dem anderen Boot ferngehalten haben?«
    »Warum haben sich unsere Chancen verringert? Ich erwarte ja nicht, dass Sie auf Mr Hoffman hören, aber der Beweis gegen dieses Argument treibt irgendwo da draußen auf den Wellen herum.«
    Als sie an der Reihe war, schüttelte Mary Ann den Kopf, um zu zeigen, dass sie nichts zu sagen hatte, aber sie beugte sich zu mir und flüsterte: »Ich muss immer an das denken, was Mrs Fleming gesagt hat: dass Ihr Ehemann Mr Hardie bezahlt hat, damit er Sie in dieses Boot aufnimmt. Vielleicht war das in dem Kästchen. Vielleicht hat Ihr Mann Mr Hardie das Kästchen gegeben, und er hat es überhaupt nicht gestohlen. Kam Ihnen das Kästchen bekannt vor? Konnten Sie es gut erkennen? Sie müssen unbedingt etwas sagen, wenn Sie etwas wissen!«
    Ich versicherte ihr, dass Mrs Fleming fantasiert habe und mein Ehemann nicht die Sorte Mensch sei, die für etwas bezahlte, wenn er es umsonst haben konnte, und dass bei einem derartigen Unglück nur ein Schurke seine Gedanken an so etwas wie Gold und Diamanten verschwenden würde.
    »Aber das Boot war schon ein Stück abgelassen worden, als Sie einstiegen«, sagte Mary Ann. »Man hat Ihretwegen angehalten. Das weiß ich ganz genau. Und da sind nicht nur Sie eingestiegen, sondern auch Hardie. Es ist doch möglich, dass Ihr Ehemann ihn bezahlt hat, ohne dass Sie es bemerkt haben.«
    »Ich bin beeindruckt, dass Sie sich so klar und deutlich erinnern, Mary Ann. Ich persönlich befand mich in Panik. Ich bekam einen Platz in einem Rettungsboot, und ich war froh und dankbar dafür, aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wie ich dort gelandet bin.«

Nacht
    In dieser Nacht schlief ich nicht, oder wenn doch, dann war es eher ein Hin- und Hertreiben zwischen Bewusstsein und einem Dämmerzustand, wo die Grenze zwischen Wachen und Schlafen einer weiten Ebene glich, auf der Denken und Bewegen leichter und müheloser bewerkstelligt werden konnte als in der Zeit, in der ich richtig wach war. Ich glaube, wir alle hatten Angst, im Schlaf aus dem Boot geschleudert zu werden, was dazu führte, dass immer wieder Leute aufschreckten und schrien, wenn sie kurz davorstanden, die Tür zum Schlaf zu durchschreiten. Mr Preston, der sich wieder an die Reling gesetzt hatte, traf mich mit seiner Faust, als er hochfuhr und rief: »Ich kann alles erklären!« Und ein anderes Mal murmelte er: »Das Kästchen kann doch gar nicht mir gehört haben. Ich bin bloß ein Buchhalter. Wie sollte ich denn an Juwelen kommen?«
    Ich streckte den Arm aus, um ihn wachzurütteln. Ich hatte Angst, er könnte sich im Schlaf selbst verletzen. »Mr Preston!«, rief ich. »Beruhigen Sie sich!« Aber mein eigenes Gehirn wurde ebenfalls von Trugbildern und unzusammenhängenden Gedankenfetzen geplagt. In einem Moment stand ich mit Miranda vor unserem alten Haus und schwor, es für sie zurückzukaufen, und im nächsten klammerte ich mich an Henry, der in den Wellen versank. Dann wieder, nachdem ich stundenlang versucht hatte, mich aufrecht zu halten, fühlte ich, wie ich abrutschte, nicht von dem feuchten Brett, auf dem ich saß, sondern vom Deck der Zarin Alexandra in ein Meer, in dem es vor Leichen und Wrackteilen nur so wimmelte. Ein Kind wandte mir sein Gesicht zu und streckte mir die Arme entgegen, aber als ich nach ihm griff, loderten kleine rote Flammen aus seinen Augen, und es lachte gellend auf, kindlich und doch dämonisch.
    Unsere Unruhe in dieser Nacht war gewiss dem Umstand geschuldet, dass die Spannungen, die seit Langem unter der Oberfläche gelauert hatten, endlich ans Tageslicht gekommen waren. Mrs Grant hatte

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