In einem leuchtend schoenen Land
Schoß und ich tat, was Mütter manchmal tun: Ich schwindelte wie ein Politiker vor anstehenden Wahlen.
„Es kommt keine Welle mehr!“, täuschte ich Gewissheit vor, wo es keine gab.
„Ha“, keifte Fabian aus seinem Bett, „sag ich doch: Es gibt gar keine fünf Meter hohe Welle!“
Spontan überfordert zog ich mich zurück und notierte:
– Was genau ist passiert, wie ist Tsunami entstanden?
– Gibt es eine Folgewelle?
– Wie verhält man sich im Falle einer Folgewelle?
Ich konsultierte den Satellitensender, der unterdessen wieder mit Diesel versorgt worden war und im Stundenrhythmus ein- und ausgeschaltet wurde. Wissbegierig starrte ich in die Röhre und bekam die ausführliche Antwort zu Frage eins – einen Hauch zu ausführlich vielleicht. Über dem, was ich sah, wurde mir übel und dann bekam ich Angst um unsere Kinder. Die Bilder von übereinander geschichteten Leichen schienen sich aber positiver auf die Einschaltquoten auszuwirken als trockene Informationen. Unterdessen blieb die Kameraeinstellung auf leblosen Gestalten und Zerstörung stehen. Überfordert wandte ich den Blick ab, stellte mir vor, wir hätten diese paar Kilometer Pech statt Glück gehabt, sah in Gedanken meine Kinder im Strudel ertrinken. Ungemütliches verdrängend konzentrierte ich mich wieder auf den Nachrichtenterror, mied mit abgewandtem Kopf die erschütternden Bilder und suchte die Antwort auf Frage zwei: Wie standen die Chancen auf einen weiteren Tsunami?
Ich hörte nichts, was mir weitergeholfen hätte.
Außer der Versicherung, dass es Nachbeben geben würde.
Frage drei blieb ganz unbeantwortet.
Die Vorsorge der Betroffenen war nicht quotenträchtig genug, ärgerte ich mich und warf einen gewagten Blick auf den Fernsehschirm. Dort sah ich eine Mutter in Tränen, die ihr totes Kind in den Armen wiegte. Aus Respekt vor der Mutter und aus Respekt vor den Gefühlen, die diese Bilder in einer anderen Mutter mit ihren drei Kindern nur wenige Kilometer entfernt vom Katastrophengebiet auslösten, schaltete ich die Kiste aus.
Unterdessen räumte das Militär die Dörfer rechts und links von uns leer, stopfte Familien in Busse und Autos und brachte sie in Tempeln und Kirchen im Landesinneren unter.
Uns hatten sie vergessen. Wir sollten weiter in der Gefahrenzone ausharren.
Evakuieren, so stellte sich heraus, war eine Sache, aber die Versorgung Evakuierter eine andere. Während wir an unseren Vorräten knabberten, hatten die Kirchen, Moscheen und Tempel für die bei ihnen Einquartierten nicht genügend Essbares und mussten versorgt werden. So wurde ein Teil der Lebensmittel, die eigentlich für die Tsunamigebiete vorgesehen gewesen waren, an die Evakuierten abgegeben werden – und während sie Lebensmittel Betroffener aßen, strichen durch viele ihrer Häuser Plünderer und raubten ihnen das letzte Bisschen Hab und Gut.
Die Nacht verbrachte ich damit, mir im stündlich ein- und ausgehenden Strom alles zuzuführen, was an Schrecklichem zur Verfügung stand. Hätte ich gewusst, was wirklich vorging, wäre ich psychisch schon viel früher zusammengebrochen. Während ich die Katastrophe am Bildschirm an mir vorbeiziehen ließ und sicher in meiner unversehrten Behausung saß, stiegen Überlebende wie in Trance über Leichen und Trümmer. Düstere Gestalten folgten ihnen. Es kam zu Vergewaltigungen und Kindesentführungen; Toten wurden Hände und Ohrläppchen abgeschnitten und der verstümmelten Leiche ihr Pensionsgold entrissen. Später würde die Rebellenorganisation LTTE die Anschuldigungen dementieren, dass sie Kinder entführte und für ihren törichten Krieg rekrutierte.
Ich schaltete den Flimmerkasten schließlich aus und ging ins Bett. Mit Schrecklichem voll gestopft schlief es sich aber nicht besonders gut. Ich träumte mit aufgesperrten Augen Abscheuliches hoch und runter, sah am Höhepunkt meiner Wahnvorstellung eine Welle, die auf die Kinder und mich zurollte. Verzweifelt versuchte ich die drei zu halten, kam aber nicht an sie heran und musste zusehen, wie sie von der Wucht des Tsunamis davongetragen wurden. In Wirklichkeit war die Welle ein russischer Propellerflieger, der mit Hilfsgütern im Tiefflug über unser Haus dröhnte.
Tsunami, träumte ich, Tsunami-Tsunami-Tsunami.
Und Tsunami polterte um Mitternacht gegen mein Fenster, warf mich aus meinem erschöpften Schlaf.
„Tsunami!“, brüllte ich.
„Lässt Du mich rein“, tönte es retour.
Traumtrunken griff ich nach dem Stock, der zur Begrüßung von
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