In einem leuchtend schoenen Land
zu mir rüber, sprang noch einmal hoch und beendete den Sprung direkt im Gras (normalerweise war das streng verboten, aber eine posttraumatischen Mutter würde die Energie zum Schimpfen eh nicht aufbringen) und setzte sich auf meinen Schoß.
„Du“, sagte er und starrte mit braunen, riesigen Augen direkt in mich hinein, „warum weinst du?“
„Weil“, antwortete ich an den Tränen wischend, „ich ein bisschen Schuld bin an diesem Unglück!“
„Warum?“
„Ein bisschen eben“, murmelte ich, „weil ich so froh war, dass uns gar nichts passiert ist.“
Das verstand er nicht.
Durfte man denn nicht froh sein, wenn man froh war? Nein … oder etwa doch? Oder … nein … weil: Das war respektlos. Willi verstand immer noch nicht und wandte sich wieder seinen Purzelbäumen zu, hing anschließend johlend und bis auf die Zähne mit Holz bewaffnet in der Hängematte und kämpfte mit seinem fantastischen Gegner, während die Politiker der Insel mindestens so fantastisch Schaukämpfe um Spendengelder veranstalteten.
12. Die Kunst des Helfens
Als ein Tsunami am 26. Dezember 2004 Sri Lanka verwüstete, wurde Tsunami ein Trauma, das in den Köpfen der Menschen weiterleben würde.
Und mitten im Leid dieser Naturkatastrophe schien es, als ob eine verkrachte Welt einen gemeinsamen Fokus gefunden habe, sich zusammenschließen und auf Menschlichkeit besinnen würde.
Nach dem Tsunami blickte man, ungeachtet der politischen und religiösen Einfärbung, miteinander und in seltener Eintracht auf die verlorenen Menschenleben und Existenzen; die Erste Welt sammelte Spendengelder in astronomischer Höhe und trat persönlich zur Ersten Hilfe an. Die Regierung einer Dritten Welt, Sri Lanka, erklärte einen vertraglich auf Eis gelegten, im Hintergrund heftig brodelnden Bürgerkrieg kurzfristig zur Nebensache und kehrte mit der tamilischen Rebellengruppe LTTE an den Verhandlungstisch zurück. Diesmal sollte nicht das Zusammenleben von Tamilen und Singhalesen neu arrangiert, sondern das gemeinsame Leid gemildert werden; der Tsunami war ungeachtet der Herkunft Singhalesen und Tamilen gleichermaßen an die Existenz gegangen. Gemeinsames Leid verband.
Selbst hilfsbedürftig verwickelte ich mich in Hilfsprojekte und ging damit aktiv gegen mein neu erworbenes Trauma vor. Und da war ich keine Ausnahme: Über die Insel zog eine Hilfsbereitschaft, die in dieser Form nur in Katastrophenzeiten zustande kommen konnte. Jeder schien irgendwie zu helfen. Unversehrte Meeresanwohner öffneten Haus und Hof, quartierten aus den Hotels geschwemmte Touristen und Anwohner ein, brühten literweise Tee auf und teilten ihr kleines bisschen Reis und Curry, suchten gemeinsam nach Vermissten und klaubten den Hausrat aus dem Meer.
Ich summierte die Hilfsbereitschaft auf, die finanziell und immateriell ankommen sollte und malte optimistisch ein Glück im Unglück.
Bei soviel Optimismus muss mir kurzfristig mein Verstand abhanden gekommen sein, der mir mein verklärtes Glück kurzerhand mit pessimistischen Gegenentwürfen verdorben hätte. Ich wäre zum Beispiel einen Augenblick nachdenklich über den sich abzeichnenden enormen Spendengeldern verharrt und hätte über die Verlockung nachgedacht und miteinbezogen, dass Dollars und Euros schon einige verdorbene Charaktere auf dem Gewissen hatten. Ich hätte mich bei Sri Lankas einhundertzehn Ministern umgesehen, die sich in der Politik tummelten und regelmäßig in den Medien auftauchten und beschuldigt wurden, ihre Diäten auch schon mal mit Korruption und Kommissionseinnahmen aufzubessern.
Nein, die Schwarzmalerei hatte keine Chance!
Jetzt, so verkündete ich optimistisch und zwang meine Bedenken ins Abseits, würde alles gut. Ich predigte vom Frieden und einem neuen Zusammengehörigkeitsgefühl der sich bekriegenden Parteien, fand meine Theorie wunderschön und wollte gar nicht mehr von meinen schön gemalten Perspektiven abrücken.
Leider reichte es nicht, wenn ich so schön dachte, solange die beteiligten, sich bekriegenden Parteien nicht mitspielten.
Und die wollten leider so gar nicht mitspielen.
Diese waren gerade mit einem bizarren Projekt beschäftigt, die einfließenden Spendengelder zu optimieren. Außerdem stand auch die inseltypische Bürokratie in den Startlöchern und produzierte Formulare, die Betroffene ausfüllen und einreichen sollten.
Nun brach über viele Betroffene eine Reihe von Komplikationen herein. Komplikation a: sie wussten nichts von auszufüllenden Formalen, b: wenn sie
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