In einer anderen Welt (German Edition)
bin, dass seine Nachfahren das nicht sein werden. Aber er redet nicht darüber, und er macht mir das auch nicht im Mindesten zum Vorwurf. Er hat erzählt, dass er nicht in Polen geblieben ist, weil er überall die Toten spürte, als kämen sie jeden Moment um die Ecke. Das kann ich verstehen. Fast hätte ich mit ihm über Magie geredet, über das, was ich getan habe, um eine Karass zu begründen, über Mor, die unter den Feen herumirrt. Vielleicht hätte ich es getan, wenn wir die Zeit dafür gehabt hätten. Aber dann kam Daniel herein und sagte, sie müssten los, wenn sie seinen Zug kriegen wollten, also habe ich mich verabschiedet.
Sam hat mich geküsst, und er hat mir die Hand auf den Kopf gelegt und auf Hebräisch ein Gebet gesprochen. Er hat mich nicht um Erlaubnis gefragt, aber es hat mir nichts ausgemacht. Am Schluss hat er mich angeschaut und gelächelt, wie er das immer tut, mit ganz vielen Falten, und gesagt: »Du kommst schon klar.« Ich war erstaunt, wie beruhigend ich das fand. Ich höre es jetzt noch. »Du kommst schon klar.« Als wäre er davon überzeugt.
Ich kann die Schneeglöckchen riechen. Ich bin so froh, dass er hier war.
Dienstag, 22. Januar 1980
Sam hatte recht, was die Akupunktur betrifft.
Es war reine Magie. Das Ganze wird »Chi« genannt, und sie tun nicht einmal so, als wäre es keine Magie. Der Mann, der das macht, ist Engländer, was mich überrascht hat, nachdem die Tanten versucht haben, mir mit ihrem Gerede über hinterhältige Orientalen Angst zu machen. Er wurde in Bury St. Edmunds ausgebildet, drüben in den Fens in der Nähe von Cambridge, und zwar von Leuten, die in Hongkong gelernt haben. Er hatte gerahmte Zertifikate, wie bei einem Arzt. An der Decke hing eine Karte der Akupunkturpunkte des menschlichen Körpers. Ich hatte ausreichend Gelegenheit, sie mir anzuschauen, denn die meiste Zeit lag ich reglos auf dem Tisch, und in meinem Bein steckten riesige Nadeln.
Es tut überhaupt nicht weh. Eigentlich spürt man gar nichts, obwohl die Nadeln wirklich lang sind und tief drinstecken. Aber als die letzte Nadel in mich hineinglitt, hörten die Schmerzen auf, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Wenn ich das nur lernen könnte! Eine hat er an meinem Fußknöchel geringfügig falsch platziert, und das habe ich gespürt – es hat nicht richtig wehgetan, eher wie ein Nadelstich. Ich habe nichts gesagt, aber er hat sie sofort wieder herausgezogen und den Bruchteil eines Millimeters weiterbewegt, und dieses Mal habe ich nichts gespürt. Das ist Körpermagie, ganz ohne Frage.
Selbst wenn es die Schmerzen nur für die eine Stunde, die ich dort war, abgestellt hätte, wäre es die dreißig Pfund wert gewesen, mir jedenfalls. Doch darauf beschränkte es sich nicht. Ich wurde nicht auf wundersame Weise geheilt oder so etwas, aber auf dem Hinweg in die Praxis bin ich die Treppe hinaufgehumpelt, und auf dem Rückweg bin ich sie mit sicheren Schritten hinuntergegangen und fühlte mich nicht schlechter als vor meiner Zeit auf der Folterbank. Er möchte mich sechs Wochen lang jede Woche sehen. Heute, so sagte er, hätte er lediglich gegen die Schmerzen getan, was ihm möglich war, aber wenn er mich regelmäßig behandeln würde, könnte er vielleicht herausfinden, was mir fehlte, und etwas dagegen tun. Er bewunderte meinen Stock – ich hatte den Feenstock mitgenommen, denn er scheint mir mehr Kraft zu geben als der aus Metall, außerdem ist er nicht so hässlich.
»Ich möchte in die Schule zurück«, sagte ich zu Daniel, bevor wir wieder ins Auto stiegen. Eine blasse Wintersonne hing am Himmel, und die rosafarbenen Häuser von Shrewsbury waren in goldenes Licht getaucht. Wenn wir gleich losgefahren wären, hätte ich noch rechtzeitig in der Schule sein können, um am Buchclub teilzunehmen.
»Erst möchte ich sehen, wie es dir morgen geht«, sagte er. »Aber was hältst du davon, chinesisch essen zu gehen, nachdem dir die chinesische Medizin so gutgetan hat?«
Also gingen wir in ein Restaurant namens »Roter Lotus« und aßen Rippchen und Huhn mit gebratenem Reis und Chow-Mein und Rindfleisch in Austernsoße. Es war köstlich, so gut habe ich seit Jahren nicht mehr gegessen, vielleicht noch nie. Ich aß, bis ich fast geplatzt wäre. Während dem Essen erzählte ich Daniel von der Convention in Glasgow, dem Albacon, dem diesjährigen Eastercon, und was Wim über den Worldcon in Brighton gesagt und dass er Robert Silverberg getroffen und fünf Tage lang nur über Bücher geredet
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