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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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leerer war als auf dem Hinweg, saßen wir nebeneinander, und nach einer Weile legte er den Arm um mich. »Das muss ich alles erst mal verarbeiten«, sagte er. »Ich wollte schon immer, dass es auf der Welt Magie gibt.«
    »Mir sind Raumschiffe lieber«, sagte ich. »Oder wenn schon Magie, dann sollte sie etwas weniger verwirrend sein, Magie mit einfachen Regeln, wie in den Büchern.«
    »Lass uns über irgendwas Normales reden«, sagte er. »Zum Beispiel, warum hast du so kurze Haare? Mir gefällt es, aber es ist ungewöhnlich.«
    »Das ist nicht normal. Früher hatten wir lange Zöpfe. Oma hat sie uns immer geflochten, und nach ihrem Tod haben wir das selber getan. Als Mor gestorben ist, habe ich sie mit der Schere abgeschnitten. Natürlich schief und krumm, und meine Freundin Moira hat versucht, sie auf jeder Seite ein bisschen abzuschneiden, bis fast nichts mehr übrig war. Seither lasse ich sie immer kurz. Die gleiche Länge haben sie erst seit ein paar Wochen. Früher sind sie in alle Richtungen abgestanden.«
    »Du Armes, Kleines«, sagte er und drückte mich sanft.
    »Warum hast du lange Haare? Für einen Mann, meine ich.«
    »Es gefällt mir einfach«, sagte er und strich sich verlegen über den Kopf. Seine Haare haben die Farbe von Honig oder jedenfalls von Honigbrötchen.
    In Gobowen kettete er sein Fahrrad los. »Wir sehen uns am Samstag«, sagte er.
    »In dem kleinen Kaffee neben dem Buchladen?«, fragte ich.
    »Bei Marios, damit ich einen richtigen Kaffee bekomme«, sagte er.
    Ich glaube, es ist Wim wichtig, mit mir in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Das hat wahrscheinlich etwas mit Ruthie zu tun und seinem Gefühl, ein Paria zu sein.
    Bevor ich in den Bus stieg, küssten wir uns wieder. Ich konnte es bis runter in die Zehen spüren. In gewisser Hinsicht ist das auch Magie, genauso wie das »Chi«.

Freitag, 8. Februar 1980
    Aujourd’hui, rien.
    Heute haben wir uns beim Mittagessen Rätsel erzählt, und ich habe die Frage gestellt, wem die anderen lieber begegnen würden, einer Elfe oder einem Plutonier. Deirdre wusste nicht, was ein Plutonier ist. »Ein Außerirdischer vom Planeten Pluto«, erklärte ich ihr. »Wie ein Marsianer, nur noch mehr.«
    »Dann eine Elfe«, sagte sie. »Und du, Morwenna, was wärst du lieber?«
    Das ist typisch Deirdre, »begegnen« und »sein« durcheinanderzubringen; andererseits war es so auch eine größere Herausforderung. Wem man lieber begegnen will, ist eine Frage des Weltbildes, Vergangenheit und Zukunft, Fantasy und Science Fiction. Was wärst du lieber – dabei muss ich immer an Tiptrees Erzählung »Und ich erwachte und fand mich hier am kalten Berghang« denken, der es gelingt, beides zu sein.
    Am Montag habe ich einen Arzttermin.

Samstag, 9. Februar 1980
    Wim scheint prinzipiell zu früh zu kommen, außer als er eine Reifenpanne hatte und – zum ersten Mal – zu spät zur Leserunde kam. Er saß bereits im Marios, als ich eintrat, und hatte sogar schon einen Kaffee für mich bestellt.
    Er schaute meine Bibliotheksbücher durch und runzelte die Stirn oder nickte, je nachdem. Ein Weltreich zu erobern von Mary Renault war eingetroffen, und er wollte wissen, was ich an historischen Romanen fand, und als ich sagte, ich hätte es bereits gelesen, wollte er wissen, warum ich Bücher mehrfach las. Ein paar Mädchen, die ich kannte, waren, zusammen mit Jungs aus der Gegend, in dem Café, darunter auch Karen, die immer wieder feixend zu uns rüberschaute.
    »Können wir nicht woandershin gehen?«, sagte ich, nachdem Wim seinen Kaffee ausgetrunken hatte.
    »Wohin denn?«, fragte er. »Hier kann man doch nirgendwo hin. Außer du willst wieder auf Gespensterjagd gehen.«
    »Hätte ich nichts dagegen.«
    In dem Moment trat Karen an unseren Tisch. »Komm mit auf die Toilette, rote Socke«, sagte sie.
    Wim zog eine Augenbraue hoch, aber ich war froh, dass sie vor ihm nicht »Krüppel« oder »Schleimer« zu mir gesagt hatte.
    »Nicht jetzt«, erwiderte ich.
    »Nein, komm«, sagte sie und verzog das Gesicht. Sie legte mir die Hand auf den Arm und kniff mich ziemlich fest. »Los, mach schon.«
    Es war einfacher mitzugehen, als eine Szene zu machen. Karen war nicht unbedingt meine Freundin, aber sie war Sharons und Deirdres Freundin. Ich seufzte und stand auf. Die Toiletten waren rot gestrichen, und über den Spiegeln hing eine Reihe heller, nackter Glühbirnen. Karen überprüfte ihr Make-up – obwohl Make-up samstags genauso verboten ist wie an jedem anderen Tag, war

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