In einer anderen Welt (German Edition)
gewusst. Mir war nie klar, wie wundervoll es ist, immer jemanden zu haben, mit dem man reden kann und der auch wusste, was man meinte, mit dem man spielen kann und der dieselben Dinge mag.
Nur noch eine Woche bis zu den Herbstferien.
Samstag, 20. Oktober 1979
Gesegnet sei die Fernleihe. Sie haben Purposes of Love und Der Läufer und sein Held für mich besorgt.
Ich habe die acht Bücher von letzter Woche zurückgebracht. Außerdem habe ich mir fünf Bücher von Schiftstellern geliehen, die ich kenne, plus Der Magus . Von diesem Autor, Fowles, habe ich noch nie etwas gehört, aber hey, ein Buch über einen Zauberer!
Von den Listen auf den Titelseiten habe ich achtundzwanzig Bücher bestellt. Der Bibliothekar – ja, er wieder – wirkte ein wenig erstaunt, machte aber keinen Terz.
Es regnete in Strömen, und die Bäume haben fast alle Blätter verloren. Ich setzte mich wieder in das kleine Café neben der Buchhandlung, weil die anderen Mädchen nicht dorthingehen; sie machen die richtigen Cafés im Ort unsicher. Hinterher bin ich zum Teich rübergelaufen, und der Schwan hat mich angezischt. Am Ufer sind meine Schuhe im Matsch eingesunken, aber ich habe mich trotzdem unter die Bäume gewagt und nach Feen gesucht. Da waren ein oder zwei, aber sie waren schwer zu erkennen und nicht zu Gesprächen aufgelegt, was schade ist, denn außer dem Brief von meinem Vater war diese Woche sehr einsam.
Sonntag, 21. Oktober 1979
James Tiptree, Jr. ist eine Frau! Heiliger Strohsack!
Darauf wäre ich nie im Leben gekommen. Du meine Güte, Robert Silverberg steht jetzt wirklich dumm da. Aber das ist ihm bestimmt egal. (Wenn ich Es stirbt in mir geschrieben hätte, würde es mich nie wieder kümmern, ob ich mich wegen irgendwas zum Narren mache. Mir fällt so schnell kein deprimierenderes Buch ein – ich mein ja nur, es kann es locker mit Hardy oder Aischylos aufnehmen –, aber es ist einfach genial.) Und die Tiptree-Geschichten sind gut, wenn auch nicht ganz so umwerfend wie »Das ein- und ausgeschaltete Mädchen«. Ich kann verstehen, dass sie ein Pseudonym verwendet hat, weil sie respektiert werden wollte, aber Le Guin hat es nicht getan, und sie wird respektiert. Sie hat den Hugo gewonnen. In gewisser Hinsicht hat Tiptree den leichteren Weg genommen, finde ich. Andererseits, mit welcher Begeisterung sich ihre Figuren verkleiden oder andere in die Irre führen! Vielleicht empfindet sie genauso? Wahrscheinlich gebrauchen alle Schriftsteller ihre Figuren als Masken, und ihr hat der männliche Name noch zusätzliche Sicherheit gegeben. Na ja, wenn ich »Liebe ist der Plan, und der Plan ist Tod« geschrieben hätte, wollte ich vielleicht auch nicht, dass die Leute wussten, wo ich wohne.
Heute war ich die Einzige, die kein Brötchen bekommen hat. Mir doch egal. Selbst Deirdre hat eins bekommen, von Karen. Deirdre schaut mich immer so verständnislos an, und das ist schlimmer als alles andere. Jetzt begreife ich auch viel besser, warum Tiberius sich so sehr auf Sejanus verlassen hat. Und ich kapiere auch, warum er so seltsam wurde. Allein gelassen zu werden – und ich werde allein gelassen –, ist nicht ganz das, was ich mir gewünscht habe. Werden manche Menschen deshalb böse? Das will ich nicht.
Ich habe Tantchen Teg geschrieben und mich bemüht, heiter zu klingen. Außerdem habe ich meinem Vater geschrieben, in der Hoffnung, dass ich ihn überzeugen kann, mich zu ihr zu fahren, und ich würde auch gerne meinen Opa im Krankenhaus besuchen. Sie sind die Einzigen, die mir jetzt noch bleiben. Er will sie bestimmt nicht sehen, aber er könnte ja so lange im Auto warten. Es wäre wirklich nett, mit jemandem zu reden, der mich mag. Noch fünf Tage bis zu den Herbstferien, und dann kann ich für eine ganze Woche von hier verschwinden.
Montag, 22. Oktober 1979
Im Chemieunterricht heute hat sich Gill neben mich gesetzt. Das war sehr mutig von ihr, wenn man überlegt, wie sich alle benommen haben. »Du denkst also nicht, dass ich ein aussätziges Voodoo-Opfer bin?«, fragte ich sie am Ende der Stunde.
»Ich bin Wissenschaftlerin«, erwiderte sie. »An so was glaube ich nicht. Und ich weiß, dass du Ärger gekriegt hast, weil du mir das Brötchen geschenkt hast.«
Es war Zeit fürs Mittagessen, also sind wir gemeinsam in den Speisesaal gegangen. Mir ist gleichgültig, was die Leute denken. Sie sagt, dass sie kaum Romane liest, aber sie will mir ein Buch von Asimov leihen, einen Sammelband mit wissenschaftlichen Essays, der
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