In einer anderen Welt (German Edition)
daran, weil sie nicht in Ruinen leben. Feen scheinen eine Vorliebe für Orte zu haben, die sich die Wildnis wieder zurückerobert hat. Darüber haben wir kürzlich in Geschichte gesprochen. Früher gab es überall Landstriche, die nicht bewirtschaftet wurden und allen gemeinsam gehörten – wie Common Ake, nehme ich an, wo die Bauern ihre Tiere weiden lassen, Holz sammeln und Brombeeren pflücken konnten. Da wimmelte es bestimmt nur so von Feen. Dann überredeten die Grundherren die Menschen, das Land einzuzäunen und ordentliche kleine Bauernhöfe daraus zu machen, und ihnen wurde erst bewusst, wie zusammengepfercht sie ohne das Gemeindeland waren, als es bereits zu spät war. Jeder Landstrich benötigt ein Stück Wildnis in seiner Mitte, sonst nimmt er Schaden. Die Gegend hier ist toter als so manche Stadt. Der Graben und die Bäume sind nur hier, weil das hier eine Schule ist, und die Bäume in der Nähe der Buchhandlung wachsen am Rand eines privaten Anwesens.
Die Feen redeten nicht mit mir, nicht einmal ein paar Worte wie die Fee in dem Baum. Aber die gelbe sah mich die ganze Zeit an, und so wusste ich, dass sie mich verstanden hatte. Jedenfalls hatte sie irgendetwas verstanden. Was genau, weiß ich nicht. So sind Feen nun einmal. Selbst diejenigen, die wir gut kannten, denen wir Namen gegeben hatten und die sich oft mit uns unterhielten, waren manchmal sonderbar.
Dann verschwanden sie alle wieder, und das Papier zerfiel zu Asche – und in dem Moment wurde ich von Ruth Campbell ertappt, und sie verpasste mir zehn Strafpunkte, weil ich ein Feuer angezündet hatte. Zehn! Es braucht drei Hauspunkte, um einen Strafpunkt auszugleichen, was äußerst unfair ist, wenn Sie mich fragen. Im ganzen Schuljahr habe ich mit meinen erstklassigen Noten bisher vierzig Hauspunkte verdient. Und jetzt habe ich elf Strafpunkte, was dreiunddreißig Hauspunkte wieder aufhebt. Es ist ein blödes System, und eigentlich ist es mir egal, aber mal ehrlich, fair ist es nicht im Mindesten.
Das Seltsame daran ist, dass sich Ruth weit mehr ärgerte als ich. Sie ist Vertrauensschülerin, und sie gehört dem Haus Scott an, also hat sie ihrem eigenen Haus geschadet, als sie mir zehn Strafpunkte gab, und ihr macht das alles viel mehr aus als mir. Wenn du zehn Strafpunkte hast, darfst du am nächsten Samstag das Schulgelände nicht verlassen, um in den Ort zu gehen, aber diese Woche beginnen die Herbstferien, also zählt das nicht. Mir kann sowieso nichts passieren, weil ich genügend Hauspunkte habe, um die Strafpunkte aufzuwiegen, aber ich werde künftig darauf achten müssen, das ich nicht wieder bei so etwas erwischt werde.
Als ob ich die Schule hätte abbrennen können! Das Feuer war winzig, und ich hatte alles unter Kontrolle. Außerdem mache ich schon seit Jahren kleine Feuer. Ich wusste, was ich tat. Und selbst wenn nicht – alle Gebäude waren ein ganzes Stück weit weg, der Boden war patschnass, und der Graben ist voller Wasser. Überall gab es haufenweise nasses Laub, das ich auf die Flammen hätte werfen können, wenn nur die geringste Gefahr bestanden hätte. Hat es aber nicht. Ich nahm die Strafpunkte widerspruchslos hin, weil ich ganz bestimmt nicht wollte, dass ein Lehrer von der Sache erfuhr. Ruth konfiszierte außerdem die Streichhölzer.
Ich bin wirklich froh, dass die Briefe vernichtet sind. Ohne sie fühle ich mich schon viel leichter.
Freitag, 26. Oktober 1979
In der Schule herrschte den ganzen Tag eine fast schon greifbare Anspannung. Alle wollen von hier fort. Sie redeten darüber, was sie am Wochenende vorhatten, prahlten mit ihren Plänen. Sharon durfte schon heute Morgen aufbrechen, die Glückliche. Juden dürfen am Freitagabend und an Samstagen nicht reisen. Was wohl passiert, wenn sie es trotzdem tun? Als müsste man mit einem ganzen Berg Gessi leben!
Einige Mädchen wurden direkt nach dem Unterricht abgeholt. Die anderen standen in der Bibliothek am Fenster und schauten neugierig, was für Autos vorfuhren und was ihre Mütter – meistens waren es Mütter – anhatten. Deirdre wurde von ihrer älteren Schwester in einem weißen Mini abgeholt. Davon würde sie sich nie wieder erholen. Offenbar mussten die Mütter karierte Wollmäntel tragen und ein Kopftuch aus Seide.
Niemand fragte mich, was meine Mutter trägt, weil niemand mit mir redet. Und wenn schon. Sie trägt jedes dritte Kleidungsstück in ihrer Garderobe, und ansonsten richtet sie sich nach einer seltsamen Reihenfolge, die nur sie begreift. Ich
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