In einer anderen Welt (German Edition)
von Scott, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Der Unterricht richtet sich nach den Klassen, alles andere nach den Häusern, vor allem die Mannschaftszugehörigkeit, aber auch das Punktesystem – je nach Betragen bekommt man welche dazugezählt oder abgezogen. Von uns wird erwartet, dass unser Haus und sein Ansehen uns äußerst wichtig sind und dass wir uns um die anderen Mädchen in unserem Haus kümmern, ganz gleich, in welche Klasse sie gehen. Mir ist das natürlich alles schnurzegal. Das ist ein Granfalloon reinsten Wassers, und ich werde Vonnegut ewig dafür dankbar sein, dass er mir dieses Wort geschenkt hat.
Also, ich wollte über Klassenzugehörigkeit reden. In der Lower 5c, und das sind die einzigen Mädchen, die ich gut kenne, hat Sharons Familie am meisten Geld. Sie verbringt ihre Ferien viel öfter im Ausland als die anderen Mädchen, ihr Vater ist Chirurg, sie haben ein großes Haus und ein großes Auto. Trotzdem gehört sie einer der unteren Schichten an, weil sie Jüdin ist und deshalb anders. Wie gesagt, das lässt sich alles nicht eindeutig beschreiben, wie Magie. Sharon hat kein Pony, obwohl sie sich problemlos eins leisten könnten. Sie haben einen Swimming Pool, aber kein Pony, weil ihre Eltern andere Prioritäten haben. An Weihnachten geht sie Skifahren, aber nach Norwegen, weil ihre Eltern nicht nach Deutschland oder in die Schweiz möchten.
Julies Eltern haben fast überhaupt kein Geld. Ihre Uniformen hat sie von ihrer Schwester. Sie haben ein altes Auto. Aber ihre Schwester ist Schulsprecherin, und ihre Mutter war Vertrauensschülerin und hat für Wordsworth den Tennispokal geholt, das Haus, dem sie auch angehört. Sie haben Julie Wordsworth zugeteilt, weil ihre Mutter und ihre Tanten und ihre Schwester auch in Wordsworth waren bzw. sind. In einer Vitrine steht eine gerahmte Schwarzweißfotografie von Julies Mutter mit dem Pokal. Die Aufschrift lautet: »Die Ehrenwerte Monica Wentworth«, weil der Vater von Julies Mutter ein Viscount ist. Julie ist keine »Ehrenwerte«, aber weil ihre Mutter es ist, gehört sie einer höheren Klasse an als alle anderen. Und das ist nicht der einzige Grund – es ist die Kombination aus »Ehrenwerte«, dem Pokal und der Schultradition. Julie ist nicht besonders intelligent, aber sie ist sportlich, und das ist viel wichtiger.
In der Upper Fourth ist ein fettes, albernes Mädchen, die eine Lady Sarah ist. Ihr Vater ist ein Graf. Ich glaube, Julie würde sich ihrer Meinung beugen, aber sicher bin ich mir nicht. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse beruht nicht auf reinem Snobismus, sondern auf vielerlei Dingen. Und alle nehmen sie unglaublich ernst. Eine der ersten Fragen, die mir hier gestellt wurden, lautete, was für einen Wagen mein Vater fuhr. »Einen schwarzen« kam nicht so gut an. Sie wollten nicht glauben, dass ich es nicht wusste. Ich sagte nicht, dass ich ihn noch nicht oft gesehen hatte und dass ich mir nichts aus Autos mache. Wie sich herausstellt, ist es ein Bentley – ich habe ihn in einem Brief danach gefragt –, offenbar ein akzeptabler Wagen. Aber was kümmert sie das? Sie möchten jeden ganz genau einordnen können. Natürlich war ihnen sofort klar, dass ich ein Nichts bin – kein Pony, kein Titel, und dann noch aus Wales. Für mich spricht, dass mein Vater in einem so tollen Haus wohnt. Und sie interessieren sich auch nur für meinen Vater. Manche Mädchen haben geschiedene Eltern – die arme Deirdre zum Beispiel –, aber selbst wenn sie bei der Mutter wohnen, zählt nur der Vater.
Klassenzugehörigkeit ist nichts Greifbares, und wie sie unser Leben beeinflusst, lässt sich nicht wissenschaftlich analysieren, und eigentlich soll es sie gar nicht geben, aber sie ist mächtig und allgegenwärtig. Sehen Sie? Wie Magie.
Mittwoch, 17. Oktober 1979
Wenn ich einmal groß bin und berühmt, werde ich niemals zugeben, dass ich in Arlinghurst war. Ich werde so tun, als hätte ich noch nie davon gehört. Wenn die Leute mich fragen, wo ich zur Schule gegangen bin, werde ich das übergehen.
Dort draußen sind noch andere Leute wie ich. Es gibt eine Karass. Ganz bestimmt. Muss es einfach.
Donnerstag, 18. Oktober 1979
Dieses Internat würde aus jedem einen Kommunisten machen.
Heute habe ich das Kommunistische Manifest gelesen – es ist ziemlich kurz. Das ist, als würde man auf Anarres leben. Besser als Arlinghurst wäre das allemal.
Freitag, 19. Oktober 1979
Ich habe Mor geliebt, aber ich habe sie nie genug zu schätzen
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