In einer anderen Welt (German Edition)
jedoch schauderhaft. Eigentlich trinke ich nur Wasser, aber wenn es gar nicht anders geht, trinke ich auch Limonade. Wasser ist mir lieber. Aber ein Teekännchen ist hübsch, und niemand kann erkennen, ob es leer ist, vor allem, wenn du nichts getrunken hast, und damit hast du einen Vorwand dazusitzen, zu lesen und dich eine Weile auszuruhen.
Also tat ich das, und dann kaufte ich vier Honigbrötchen zum Mitnehmen, dieses Mal von meinem eigenen Geld. Eins für Deirdre, eins für Sharon, die es natürlich nicht essen darf, also kriege ich das auch, eins für mich und eins für Gill. Letzte Woche habe ich ein Brötchen von Sharon bekommen, also bekommt sie diese Woche eins von mir. Die Geste an sich ist wichtiger als das Brötchen, auch wenn die Brötchen wundervoll schmecken. Für Karen kaufe ich keins, weil sie Hinkebein zu mir gesagt hat, was mir noch mehr zuwider ist als irgendein anderer Spitzname. Rote Socke ist fast schon liebevoll, und Taffy höre ich schon gar nicht mehr, aber wer mich Krüppel und vor allem Hinkebein schimpft, muss mit dem Schlimmsten rechnen.
Dann habe ich die Verkäuferin in der Bäckerei nach dem Teich gefragt. »Ist das ein Park?«
»Ein Park, Schätzchen? Nein, das ist ein Anwesen, jedenfalls ein Teil davon.«
»Aber am Teich steht eine Bank. Eine Parkbank.«
»Na ja, die hat die Gemeinde da hingestellt, damit sich die Leute draufsetzen können. An der Straße, die der Gemeinde gehört, also ist das vielleicht ein Park, allerdings kein richtiger Park mit Blumen. Aber was du dahinter siehst, die Bäume und all das, das gehört zu dem Anwesen, und ich denke mal, über kurz oder lang hängt da ein ›Betreten verboten‹-Schild, wegen der Fasane. Im August hören wir immer, wie sie da rumballern.«
Also ist es ein privates Anwesen, mit einem Wildpfleger und allem Drum und Dran, und wegen der Fasane haben sie es wild belassen. Da gibt es bestimmt jede Menge Feen.
Sonntag, 14. Oktober 1979
Nach dem Mittagessen habe ich einen Rüffel erhalten und einen Strafpunkt, meinen ersten. Offenbar darf man Mädchen aus einem anderen Haus oder aus einer anderen Klasse keine Brötchen schenken, es sei denn, man ist mit ihnen verwandt. Und Gill gehört, obwohl wir zusammen Chemie haben, nicht zu meinem Haus oder meiner Klasse, also ist es unerhört, dass ich freundlich zu ihr bin. Und dass ich ihr ein Brötchen gegeben habe, macht mich äußerst suspekt und lässt die anderen vermuten, dass ich lesbisch bin. So, wie sie alle herumstottern, könnte man fast meinen, Gill wäre lesbisch. Und wenn schon! Ich habe damit kein Problem. Ich bin es nicht, aber in dieser Hinsicht bin ich eindeutig einer Meinung mit Heinlein und Delany.
Sogar Deirdre und Sharon finden, dass ich Gill das Brötchen nicht hätte geben sollen. Deirdre hat versucht, Ausreden für mich zu finden – ich wäre schließlich noch nicht so lange hier, und der ganze Chemieunterricht hätte mir vielleicht den Kopf benebelt.
Ich werde die Menschen hier nie verstehen.
Montag, 15. Oktober 1979
Ich habe keinen ihrer Briefe mehr beantwortet. Aber sie schreibt mir trotzdem immer wieder und schickt mir Fotografien. Fotografien wie die erste. Jede Woche ein oder zwei. Ich sehne mich so verzweifelt danach, ein Bild von Mor zu haben, dass ich den Brief jedes Mal öffne, und dann kann ich es mir doch nicht verkneifen, ihn zu lesen. Damit warte ich allerdings immer, bis ich in die Bibliothek gehe, weil ich nicht ertragen kann, dass jemand sieht, wie ich sie lese.
Als ich gerade eine der verstümmelten Fotografien anschaute, kam Lorraine Pargeter mit einer schlimmen Erkältung in die Bibliothek. Lorraine ist eine grobknochige dumme Blondine, Kapitänin des Hockeyteams unserer Klasse und ein Verbindungshalb im Team des Hauses. Natürlich hat sie mir schon mal Schimpfnamen hinterhergerufen und mich gezwickt, aber sie hat auch die anderen daran gehindert, mir ein Bein zu stellen, wenn ich aus der Dusche kam, also bin ich nicht besonders sauer auf sie. Heute ist ihre Nase ziemlich rot, und es scheint ihr wirklich elend zu gehen, weil sie nicht mit aufs Spielfeld kann. Ich habe gehört, wie sie die Lehrerin gefragt hat, ob sie nicht zuschauen darf, wenn sie sich warm anzieht.
»Morwenna, was ist denn das?«, fragte sie. Ich wollte nicht, dass sie merkte, wie wichtig mir das Bild war, deshalb konnte ich es nicht einfach verstecken. Also schnippte ich es über den Tisch zu ihr hinüber. Sie nahm es in die Hand und schaute es an. Auf dem Foto ist zu
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