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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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sehen, wie wir bei einer Schulfeier einen Preis bekommen, nur dass ich – wie immer – herausgebrannt bin.
    »Meine Mutter ist eine Hexe«, sagte ich beiläufig.
    Lorraine stieß ein lautes Keuchen aus und ließ das Bild fallen. »Ist das Voodoo?«, flüsterte sie.
    Das hatte ich mich selbst schon gefragt. Ich habe keine Ahnung, wie dergleichen funktioniert, und Nachschlagen hilft einem da auch nicht weiter. Was bedeutet es, wenn man jemanden aus einer Fotografie herausbrennt? Was hat es für Folgen? Ich hob die Hand, um mein Holzamulett zu umfassen, aber es war natürlich nicht da – unter der Uniform kann ich es nicht tragen. Ich hatte einen Stein in der Tasche, also berührte ich den. Ich weiß nicht, ob das etwas nützt, aber es beruhigt mich jedenfalls. Die andere Hand legte ich auf den Holztisch, der von zahllosen Händen glattgerieben ist.
    »Mehr oder weniger«, sagte ich leise. »Sie brennt mich heraus, doch das scheint mir nichts anhaben zu können.«
    »Aber da bist du doch«, erwiderte Lorraine, und zwar so laut, dass Miss Carroll zu uns herüberblickte.
    Lorraine weiß natürlich nichts von Mor. Ich habe niemandem von ihr erzählt, weil es erstens eine persönliche Sache ist, weil ich es zweitens nicht ertragen kann, wenn jemand mich bedauert, und weil ich drittens schon genug gehänselt werde. Sonst verliere ich irgendwann doch noch die Beherrschung. »Ach, wirklich?« Ich nahm ihr das Bild aus der Hand. »Das hab ich mir noch gar nicht angeschaut. Egal, ich bin sowieso beschützt. Aber es wäre schrecklich, wenn sie sich meine Freunde vorknöpfen würde.«
    Lorraine riss die Augen auf, suchte sich einen Platz am anderen Ende der Bibliothek und tat so, als würde sie Vom Winde verweht lesen. »Sollen sie mich fürchten, solange sie mir nur gehorchen« hat heute noch besser funktioniert als sonst, aber Deirdre und Sharon haben mich ebenfalls gemieden. Wenn ich so weitermache, vereinsame ich noch völlig.

Dienstag, 16. Oktober 1979
    Mit der Klassenzugehörigkeit eines Menschen ist es wie mit Magie. Es gibt nichts, auf das man den Finger legen könnte, und sie löst sich in Luft auf, wenn man versucht, sie zu analysieren, aber es gibt sie wirklich, und sie beeinflusst, wie Leute sich verhalten.
    Sharon hat wahrscheinlich mehr Geld als die anderen Mädchen in unserer Klasse. Wir sind die »Lower Fifth«, was in irgendeinem normalen Zusammenhang so bedeutungslos ist, dass ich wütend werde, wenn ich nur darüber nachdenke. Sie fangen mit der »Lower Third« zu zählen an. Theoretisch exisitiert eine hypothetische »Lower School«, die mit der »First« anfängt, mit den Siebenjährigen. Aber in Wirklichkeit gibt es nichts dergleichen, und ich leite das nur aus dieser albernen Zählung ab. Bis sie in Arlinghurst zur »Sixth« kommen, folgen sie demselben System wie der Rest der Welt, wo auf der Grundschule (eins bis vier) die Sekundarschule aufbaut (eins bis sechs). In Arlinghurst gibt es sechs Klassen, wie in jeder anderen Sekundarschule auch, nur dass sie bescheuert zählen.
    Genau genommen sind wir die Lower 5c, denn es gibt noch eine a und b, aber wir sind nicht nach Leistung gestaffelt, um Gottes willen, das wäre ja ungerecht. Nur dass wir es doch sind, denn Gill und alle Mädchen in Chemie gehören zur a, und sie sind eindeutig intelligenter. Nach meinen Noten müsste ich auch in der a sein, aber man darf nur am Schuljahresende die Klasse wechseln. Miss Carroll, die Bibliothekarin, hat mir erzählt, dass ich eigentlich an Weihnachten in die a hätte versetzt werden sollen, aber ich habe den Stundenplan durcheinandergebracht, deshalb muss ich bis nächsten September bei den Dummköpfen bleiben. Sie sagte es, als könnte ich daraus eine wertvolle Lehre ziehen, aber ich bin froh, dass ich um Chemie gekämpft habe. Ich wünschte, ich wäre auch bei Biologie hartnäckig geblieben.
    Das System der Häuser ist von den Klassen unabhängig. Die Klassen verlaufen horizontal, die Häuser vertikal. Mädchen aus allen drei Klassen jedes Jahrgangs sind in allen vier Häusern. Die Häuser liegen im Wettstreit miteinander, und die Gewinner werden mit Pokalen ausgezeichnet – richtige Silberpokale, die im Speisesaal ausgestellt sind. Die Häuser sind nach viktorianischen Dichtern benannt. Mein Haus heißt »Scott«, die anderen »Keats«, »Tennyson« und »Wordsworth«. Kein Shelley und kein Byron – wahrscheinlich wegen ihres etwas zweifelhaften Rufs. Oma hatte eine Vorliebe für all diese Dichter, mit Ausnahme

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