In einer anderen Welt (German Edition)
den Eindruck, dass ich eigentlich gar nicht wusste, was ich da tat, sondern wie verrückt improvisierte. Es unterscheidet sich so sehr von dem, was mir beigebracht wurde, aber ich glaube, dass es seine Wirkung tun wird. Der Mond war schon immer mein Freund. Trotzdem.
Bisher haben sie uns immer erklärt, was wir machen sollen. Glorfindel hat gesagt, wir sollen die Blüten ins Wasser werfen und ich soll den Kamm in dem Sumpf versenken. Wie ich da in meinem Kreis stand, kam ich mir sehr unerfahren vor, als würde ich nur eine Rolle spielen. Magie ist wirklich seltsam. Ich schaute immer wieder durch die nackten Äste zum Mond hinauf und wartete, bis er für einen Moment deutlich sichtbar am Himmel stand. Ich hatte mir ein Gedicht zusammengereimt, und das sang ich, um wenigstens in die richtige Stimmung zu kommen.
Ich verwendete Dinge, an die ich mich erinnerte, und Dinge, die ich mir ausgedacht hatte, und Dinge, die mir einfach passend erschienen. Ich versuchte, einen Schutzzauber zu wirken und eine Karass heraufzubeschwören. Ich hatte einen Apfel – ich hatte zwei und bewahrte sie ein paar Tage lang zusammen auf, damit sie sich aneinander gewöhnten, selbst wenn sie nicht vom selben Baum stammten, und dann habe ich einen gegessen, sodass er zu einem Teil von mir wurde, und den anderen habe ich mitgenommen. Äpfel sind mit Apfelbäumen verbunden und mit der gezähmten Natur, und mit Eden und dem Garten der Hesperiden und dem Garten von Idun und Eris. In der Mittelschule habe ich einmal einen Apfel in meinem Schreibtisch versteckt, bis er reifer und reifer wurde und dann ganz weich und matschig, bis nur noch ein süß riechender Saftbeutel übrig war, und erst als er zu schimmeln anfing, habe ich ihn weggeworfen. Das war eine starke Verbindung. Im alten Persien, und noch heute in manchen Teilen von Indien, glaube ich, werden »Himmelsbestattungen« durchgeführt: Der Leichnam wird auf eine erhöhte Plattform gelegt, und die Vögel fressen ihn, und er verwest für alle sichtbar. Die Magie, die dabei freigesetzt wird, ist bestimmt sehr stark, aber es muss furchtbar sein mitanzusehen, wie jemand, den man gekannt hat, langsam zerfällt. Feuerbestattungen sind vielleicht nicht magisch, aber wenigstens sind sie sauber.
Jedenfalls habe ich mir auch den Finger geritzt und einen Tropfen Blut verwendet, was gefährlich ist, aber einem ziemliche Macht verleiht.
Ich habe die Fee gesehen, die mit mir gesprochen hat, als ich das erste Mal hier draußen war, oben im Baum. In den Ästen funkelten noch andere Augen, aber ich erkannte keine davon, und sie sagten auch nichts. Ich weiß nicht, wie ich mich mit ihnen anfreunden oder ihr Vertrauen gewinnen soll. Sie sind anders als unsere Feen, wilder, weiter von den Menschen entfernt.
Obwohl ich mir auch sonst oft vorkomme, als wäre ich völlig fehl am Platze, und obwohl ich mich nur zu gut an Halloween erinnere, habe ich mich noch nie so sehr wie ein halber Mensch gefühlt wie letzte Nacht. Als hätte mir jemand den Arm abgehackt, als wäre ich es gewohnt, etwas mit beiden Händen zu halten, und jetzt müsste ich mit einer klarkommen, nur eben in magischer Hinsicht. Und trotzdem – ich habe nicht versucht, darauf einen Heilspruch anzuwenden. Mir ist sogar gerade erst eingefallen, dass das möglich gewesen wäre. Vielleicht würde das auch bei meinem Bein funktionieren. Aber das wäre gefährlich, noch gefährlicher als eine Karass heraufzubeschwören. Vielleicht hätte ich es bei dem Schutzzauber belassen sollen, denn den brauchte ich wirklich. Wenn man Magie für etwas einsetzt, das man haben möchte, riskiert man eine ganze Menge. Das hat mir Glorfindel gesagt. Aber eine Karass ist doch nicht zu viel verlangt, oder? Etwas muss man dafür schon riskieren.
Natürlich weiß ich nicht mit Sicherheit, ob es geklappt hat. Das ist bei Magie immer das Problem. Eines der Probleme. Unter vielen ...
Heute bin ich erschöpft. Fast wäre ich in Englisch über Dickens eingeschlafen. Wohlgemerkt, den finde ich schon zum Schnarchen, wenn ich hellwach bin. Ich muss die ganze Zeit gähnen. Aber heute Nacht schlafe ich vielleicht, ohne zu träumen. Wir werden sehen.
Samstag, 1. Dezember 1979
In der Bibliothek heute hat mich der Bibliothekar angesprochen. »Du hast Beyond the Tomorrow Mountains bestellt?«, fragte er.
Ich nickte.
»Davon gab es nie eine britische Ausgabe, ich fürchte also, das können wir dir nicht besorgen.«
»Ah«, sagte ich enttäuscht. »Trotzdem vielen Dank.«
»Mir
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