In einer anderen Welt (German Edition)
wichtig sind, stimmt’s?«, fragte sie.
Ich starrte in die Nacht hinaus. Zwischen der Ampel am unteren Ende der Ortschaft und der Schule brennt kaum ein Licht, außer hin und wieder auf einem Bauernhof, und die Scheinwerfer des Wagens wirkten wie Eindringlinge in der Finsternis. Ich sah Mäuse und Kaninchen und ab und zu eine Fee davonhuschen. »Nein«, erwiderte ich. »Ich habe nicht oft die Gelegenheit, überhaupt mit irgendjemandem zu reden.«
»In gewisser Hinsicht ist Arlinghurst eine wirklich gute Schule«, sagte sie.
»Nicht für Menschen wie mich.«
»Der letzte Bus, der an der Schule hält, geht um Viertel nach acht«, fuhr sie fort. »Heute dauerte das Treffen bis fast um neun Uhr. Ich habe Greg gebeten, dich in solchen Fällen immer mit dem Auto zurückzubringen, und er hat es mir versprochen. Solange du im Bett bist, wenn das Licht ausgeschaltet wird, sollte das okay sein.«
»Das ist sehr nett von ihm. Es war sehr freundlich, dass er mich überhaupt gefragt hat. Finden Sie, dass ich zu viel geredet habe?«
Miss Carroll lachte, bog ab und fuhr zwischen den Ulmen hindurch die Auffahrt der Schule entlang. »Ein wenig vielleicht. Aber die anderen haben sich ganz offensichtlich für das interessiert, was du zu sagen hattest. Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber.«
Aber das ist leichter gesagt als getan.
Donnerstag, 6. Dezember 1979
Die Tage werden immer kürzer. Ich habe den Eindruck, dass es die ganze Zeit dunkel ist. Es wird erst nach neun Uhr hell, also bleibe ich morgens drinnen. Früher bin ich vor dem Frühstück meistens kurz rausgegangen, einfach um etwas Luft zu schnappen, nur ein paar Schritte vor die Tür, tief ein- und ausatmen, und dann wieder zurück in den Lärm des Speisesaals. Das Frühstück besteht aus Brot und Margarine, so viel man will, und wässrigem Rührei mit Dosentomaten, was ich nicht esse. Sonntags und manchmal auch unter der Woche gibt es Würste, ein Festmahl. Die Belegschaft isst nicht mit, also schreien alle wild durcheinander, was natürlich bedeutet, dass jeder brüllen muss, um sich verständlich zu machen. Es klingt wie in einer Bärengrube, nur schriller. Manchmal stehe ich vor dem Haupteingang und höre es noch am anderen Ende des Korridors, wie in einem dieser Irrenhäuser im achtzehnten Jahrhundert, wo die Leute zum Vergnügen hingegangen sind.
Wenn der Unterricht zu Ende ist, ist es auch schon fast dunkel. Die Lichter brennen, und die Sonne ist längst untergegangen. Der Himmel ist noch ein wenig hell, aber es besteht kein Zweifel, dass es Nacht ist und nicht Tag. Manchmal gehe ich ein paar Schritte vom Schulgebäude weg, drehe mich um und betrachte die Lichter, die in der Dämmerung orange schimmern. Das erinnert mich daran, wie ich einmal kurz vor Weihnachten zusammen mit Oma und Mor von der Schule nach Hause gelaufen bin, wobei wir einander an den Händen gehalten haben. Vielleicht hatten ihre Schulferien einen Tag früher begonnen, und sie hat uns abgeholt. Wir waren noch ziemlich klein, so um die sechs, glaube ich. Ich weiß noch gut, wie ich ihre Hand festhielt und mich umdrehte, und in der Schule brannten die Lichter, und der Himmel war noch nicht ganz dunkel.
Wenn ich so an früher zurückdenke, werde ich ganz melancholisch – ich weiß noch gut, wie geborgen ich mich fühlte und wie aufgeregt ich war. Erinnerungen sind wie ein großer Stapel Teppiche, ich lege sie in meinem Kopf aufeinander, ohne mir groß Gedanken darüber zu machen, aber wenn ich will, kann ich über jeden einzelnen hinweglaufen. Klar, ich bin nicht wirklich dort, nicht so, wie ein Elb das wäre. Aber wenn ich daran zurückdenke, wie es war, wütend oder verärgert zu sein, kann ich diese Gefühle ein wenig nachempfinden. Das gilt natürlich auch für glückliche Momente, aber die nutzen sich ab, wenn ich sie mir zu oft vor Augen führe. Dann sind mir, wenn ich einmal alt bin, alle meine unangenehmen Erinnerungen noch präsent, weil ich sie verdrängt habe, und die schönen Erinnerungen sind verblasst. Den Tag mit Oma, an den ich mich jetzt schon nicht mehr richtig erinnern kann, werde ich vergessen haben, und übrig bleiben nur noch die kurzen Wintertage in der Schule, wie ich alleine hinausgehe und mich nach den erleuchteten Fenstern umschaue.
Ich habe die Dunkelheit so satt. Ich weiß, dass die Jahreswende ein Teil unseres Lebens ist. Ich mag den Wechsel der Jahreszeiten und finde es toll, dass es manches Obst und Gemüse nur zu bestimmten Jahreszeiten gibt. Bald ist
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