In einer anderen Welt (German Edition)
holt ihn wahrscheinlich jetzt in diesem Moment hervor. Bestimmt ist sie alleine, wenn sie Opa nur für einen Tag rauslassen. Hoffentlich schafft sie es, dass der Baum gerade steht. Was war das immer für ein Theater! Letztes Jahr mussten wir ihn an die Schranktür binden. Aber besser, ich denke nicht an letztes Jahr – das war das schlimmste Weihnachtsfest aller Zeiten. Was immerhin den Vorteil hat, dass es dieses Jahr nur besser werden kann, egal wie furchtbar es ist.
Unser Christbaumschmuck ist auch alt, der größte Teil jedenfalls, aber manches davon ist neu und wurde gekauft, als es uns schon gab. Das Meiste ist aus Plastik, nur die Fee, die auf die Spitze gesteckt wird, ist aus Porzellan. Der Baum in Old Hall hat keine Fee, was merkwürdig ist. Stattdessen hockt das Christkind obendrauf. Unser Christbaumschmuck passte überhaupt nicht zusammen, aber dann doch wieder, weil es so viele verschiedene Dinge waren, und wir hatten haufenweise Lametta, keine dünnen Silberstreifen, sondern dicke Büschel davon. Hoffentlich übernimmt sich Tantchen Teg nicht, wenn sie das alles alleine macht. Und hoffentlich taucht meine Mutter nicht plötzlich morgen dort auf wie eine böse Fee bei der Taufe. Wenigstens das passiert hier nicht.
Ich habe alle meine Geschenke verpackt und unter den Baum gelegt. Mein Papier ist hübsch, dunkelrot mit Silberfäden. Als alle ihre Geschenke daruntergelegt hatten, haben wir die Beleuchtung eingeschaltet – und eine weitere Birne ist durchgebrannt, und ich habe sie ausgetauscht. Dann haben wie sie noch mal eingeschaltet und den Baum angestaunt. Ich habe auch meine Geschenke von Deirdre und Miss Carroll daruntergelegt.
An Weihnachten sollte jeder zu Hause sein. Zumindest die Leute, die ein Zuhause haben, was auf mich wohl nicht zutrifft. Aber ich wäre jetzt gerne bei Opa und Tantchen Teg, die für mich so was wie meine Familie sind.
Wenn ich erwachsen bin, werde ich an Weihnachten nie weggehen. Die Leute können mich besuchen kommen, aber ich werde nie irgendwoanders hingehen.
Unten läuft eine Schallplatte mit Weihnachtsliedern – ich kann sie durch den Boden hören. Was mache ich nur hier?
Aber in Afghanistan, wo die Panzer rollen, ist es schlimmer.
Dienstag, 25. Dezember 1979,
erster Weihnachtsfeiertag
Dieser Eintrag wird jetzt nicht so, wie ich erwartet habe – eine Liste langweiliger Geschenke.
Ich wurde von Weihnachtsliedern geweckt, wieder die Schallplatte, die in irgendeiner Kathedrale aufgenommen wurde. Eigentlich ganz hübsch, und ich wurde sogar ein wenig aufgeregt, weil Weinachten ist, obwohl ich hier bin. Ich bin nach unten gegangen, und wir haben zusammen gefrühstückt, kalten Toast und hartgekochte Eier wie sonst auch. Ich begreife einfach nicht, warum sie den Toast so essen. Sie bereiten ihn in der Küche zu und tun ihn dann auf einen Toastständer, bis er kalt und spröde und widerlich ist. Toast muss sofort mit Butter bestrichen werden.
Nach dem Frühstück sind wir rübergegangen und haben unsere Geschenke ausgepackt. Es war genau festgelegt, wer was zuerst auspacken darf, ganz anders als bei uns zu Hause. Wir haben uns immer abgewechselt, sodass jeder mehrmals drankam. Hier öffnet einer alle seine Geschenke, und dann ist der Nächste an der Reihe. Ich war als Letzte dran, weil ich die Jüngste bin.
Mit ihren Halstüchern waren sie anscheinend ganz zufrieden, auch wenn ich die Farben durcheinandergebracht habe – zwei von ihnen haben getauscht, als sie dachten, ich würde nicht hinschauen. Ich kann sie noch immer nicht auseinanderhalten. (Waren Mor und ich uns auch so ähnlich? Wären wir das auch noch mit vierzig gewesen?) Sie haben einander Termine beim Friseur und solche Sachen geschenkt. Daniel hat sich bei mir für Der Splitter im Auge Gottes und für die Jacke bedankt. Sie haben ihm Whisky geschenkt, eine besondere Flasche, und noch mehr Kleider.
Mein Haufen war ziemlich groß, größer, als ich erwartet habe. Deirdre hat mir etwas geschenkt, von dem ich noch nie gehört habe, Per Anhalter durch die Galaxis , was immerhin nach Science Fiction klingt, und von Miss Carroll habe ich Planet der Habenichtse bekommen, von dem sie wusste, dass ich es kenne, aber nicht habe – sehr aufmerksam von ihr. Daniel hat mir einen Stapel Bücher geschenkt und eines dieser verschließbaren Notizbücher, das ich gut gebrauchen kann. Seine Schwestern haben mir Kleider geschenkt, größtenteils Sachen, die ich nie im Leben anziehen würde, eine Schachtel Napolitaner,
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