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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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länger ging. Bei den Versammlungen darf ich sitzen, was nett ist, da jedoch alle anderen stehen, sehe ich nichts, aber das will ich ja auch gar nicht. Die Lehrer, die an einer Seite des Saals stehen, können mich allerdings gut sehen, also kann ich nicht lesen. Ich starre den Rücken sämtlicher Schülerinnen an, die einheitliche Uniformen tragen, und vergleiche ihre Größe, die Falten ihrer Kleider und wie ihnen das Haar über den Rücken fällt, aber das ist auch alles. Es ist erstaunlich, wie vielfältig etwas ist, das auf den ersten Blick völlig gleich aussieht, eine Reihe uniformierter Rücken. Ich gab den Mädchen in der Reihe direkt vor mir Noten für Haltung und Reinlichkeit und gruppierte sie in Gedanken nach Größe und Haarfarbe um.
    Scott gewann den Pokal mit einem knappen Vorsprung vor Wordsworth. Eigentlich sollte ich das wahnsinnig aufregend finden, aber für mich ist das ungefähr so spannend, wie Leute nach ihrer Haarfarbe zu sortieren.
    Hinterher bin ich in die Bibliothek gegangen und habe Miss Carroll die Pralinen gegeben, was sie sehr zu freuen schien. Sie gab mir ein eingepacktes Geschenk, ein Buch vermutlich.
    Dann habe ich mich auf die Suche nach Deirdre gemacht und ihr die Seifenschachtel gegeben. Ich habe sie nicht verpackt, weil ich nicht daran gedacht habe, Geschenkpapier zu besorgen, aber ich habe sie in eine hübsche Tüte aus dem Laden getan, in dem ich die Halstücher gekauft habe. Sie hat sie nicht geöffnet, aber sie hat sich sehr artig bedankt und mir ein in dünnes Papier eingeschlagenes Geschenk gegeben. Es fühlt sich ebenfalls an wie ein Buch. Was um Himmels willen mag das sein? Ich werde es lesen und sagen müssen, dass es mit gefällt, ganz egal, was es ist.
    Dann blieb uns nur noch, auf die Autos zu warten. Manche Mädchen wurden erst am Abend abgeholt, die Armen, aber Daniel fuhr um Punkt eins vor, nicht als Erster, aber doch recht früh. Alle rannten herum und kreischten noch lauter als sonst, sodass er bestimmt dachte, er befände sich in einem Irrenhaus.
    Wir fuhren zurück nach Old Hall, wo wir rechtzeitig zum Tee eintrafen – es gab staubtrockene Mince Pies, die fast so schlecht waren wie das Schulessen. Daniels Schwestern freuten sich, dass Scott den Pokal gewonnen hatte. Sie öffneten sogar eine Flasche Champagner, der furchtbar schmeckte, und die Luftblasen stiegen mir in die Nase. Ich habe das schon einmal getrunken, bei der Hochzeit von Kusine Nicola, und bereits damals mochte ich es nicht. Daniel wollte meinen mit Orangensaft mischen und etwas daraus machen, das »Buck’s Fizz« heißt, aber ich lehnte ab. Wenn es etwas gab, das es noch schlimmer machen würde, dann dieser entsetzliche Orangensaft. Ich möchte einfach nur Wasser trinken. Warum finden die Leute das so merkwürdig? Es kommt aus dem Wasserhahn und kostet nichts.
    Heute ist Wintersonnenwende, der kürzeste Tag. Ab morgen zieht sich die Dunkelheit ganz allmählich wieder zurück. Ich werde sie nicht vermissen.
    Es ist wunderbar, eine Tür schließen und endlich ungestört sein zu können. Ich bin früh ins Bett gegangen und habe überlegt, an Wim zu denken, während ich masturbierte, denn das atemlose Gefühl ist eindeutig sexuell, aber dann fand ich es doch unangemessen und konnte es mir auch nur schwer vorstellen. Außerdem ist da noch die Sache mit Ruthie, die mich dabei stört, was auch immer nun wirklich vorgefallen sein mag. Also habe ich eben an Lessa und F’lar und Nicholas gedacht. Schon merkwürdig, dass in Triton so viel Sex vorkommt, und trotzdem ist es so unerotisch. Und – weil ich noch immer nach Verbindungen zwischen den beiden Büchern suche – in Planet der Habenichtse kommt auch Sex vor, aber nicht von der Sorte, die einem den Atem raubt. Ich frage mich, woher das kommt? Hat Fowles Nicholas auf eine Art und Weise beschrieben, die sich grundlegend davon unterscheidet, wie Delany Bron und die Spike beim exhibitionistischen Sex beschrieben hat? Ich glaube schon, aber ich weiß nicht genau, worin der Unterschied besteht.

Samstag, 22. Dezember 1979
    Die Tanten sind mit mir nach Shrewsbury einkaufen gegangen. Sie wollten, dass ich etwas Nettes für Daniel besorge. Ich erklärte ihnen, dass ich bereits Der Splitter im Auge Gottes für ihn hätte, aber sie lachten nur und sagten, das würde ihm bestimmt gefallen. Sie haben ihm – in meinem Namen – eine dunkelgraue Jacke mit zahlreichen Taschen gekauft, die wie das aussieht, was er sonst auch trägt, aber ich hätte sie ihm nie

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