In einer anderen Welt (German Edition)
geschenkt, und das wird er auch wissen. Wenigstens habe ich etwas Geschenkpapier bekommen. Mittags sind sie mit mir in ein Restaurant in einem schicken Kaufhaus namens Owen Owens gegangen. Das Essen war verkocht und schleimig.
Zu Hause habe ich vorgeschlagen, dass ich Scones für sie backe, und war dabei so ehrerbietig und höflich, wie ich nur konnte. Ihnen war das überhaupt nicht recht, das war nicht zu verkennen, auch wenn ich nicht weiß, warum. Ich kann kochen, ich kann das schon seit Jahren. Ich kann viel besser kochen als sie. Sie glauben doch bestimmt nicht, dass es unter meiner Würde ist, schließlich kochen sie selbst. Vielleicht wollen sie mich nicht in ihre Küche lassen, dabei würde ich dort keine Unordnung machen.
Daniel habe ich heute so gut wie gar nicht gesehen. Er arbeitet an irgendetwas. Ich habe mir von ihm einen ganzen Stapel Bücher geliehen und verschlinge sie eines nach dem anderen. Wenn hier drin nur das Licht besser wäre.
Ich glaube nicht, dass ich so bin wie andere Leute. Auf einer tiefen, grundlegenden Ebene, meine ich. Nicht nur, weil ich ein halber Zwilling bin und viel lese und Feen sehe. Nicht nur, weil ich außen vor bin und sie alle mittendrin. Das war ich früher auch. Ich glaube, die Art und Weise, wie ich abseitsstehe und rückwärts schaue, auf die Sachen, die passieren, ist nicht normal. Man muss das eben tun, wenn man Magie wirken möchte. Aber da ich nie wieder Magie wirken werde, ist es irgendwie vergeudet.
Sonntag, 23. Dezember 1979
Kirche. Nachdem ich aufgestanden bin, inspizierten mich die Tanten, als wäre ich ein Ausstellungsstück, und eine von ihnen legte mir nahe, ich sollte mir etwas Eleganteres raussuchen. Ich hatte einen marineblauen Rock an und ein blassblaues T-Shirt und darüber meine Schuljacke. Obwohl es regnete, war es nicht kalt, also hielt ich das für ausreichend. Aber ich habe nachgegeben und meinen grauen Pullover geholt. Ich habe nur wenige Kleider, die nicht zu meiner Uniform gehören. Die meisten habe ich zurückgelassen, als ich von zu Hause weggelaufen bin, natürlich.
Von der Inspektion abgesehen war der Kirchgang nichts Besonderes. St. Mark ist eine schöne alte Steinkirche mit gotischen Bögen und einer Kreuzfahrergruft, in der wahrscheinlich einer ihrer Vorfahren liegt, aber ich habe sie mir nicht angeschaut. Es war ein englischer Gottesdienst, wie ich erwartet hatte, und eine ganz normale Adventspredigt. In der Kirche war bereits eine Krippe aufgebaut, und es wurden Weihnachtslieder gesungen. Hinterher hat sich der Pastor sehr freundlich mit uns unterhalten, und sie haben mich als Daniels Tochter vorgestellt. Daniel kam nicht mit. Warum nicht?
Beim Mittagessen war er dann anwesend. Es gab zerkochten Rinderbraten und versalzene Kartoffeln und Karotten. Hätten sie lieber mich kochen lassen. Ich kann ja verstehen, dass sie mich nicht gleich eine Feiertagsmahlzeit kochen lassen, aber wenigstens Scones könnte ich backen. Noch drei Tage. Hier ist es genauso schlimm wie in der Schule. Schlimmer, weil es keine Bibliothek und keinen Buchclub gibt, wohin ich verschwinden könnte.
Nach dem Mittagessen bin ich ein wenig spazieren gegangen, trotz des Regens und meines Beines, das heute gar nicht so schlimm ist, es grummelt nur und schreit nicht. Die Gegend hier gleicht der um die Schule herum, keine Wälder und Wiesen, sondern nur Bauernhöfe und Felder und Straßen, keine Wildnis, keine Ruinen und keine Feen irgendwo. Keine Ahnung, warum irgendjemand hier freiwillig lebt.
Montag, 24. Dezember 1979, Heiligabend
Die Russen sind in Afghanistan einmarschiert. Unser Schicksal scheint uns vorherbestimmt. Ich habe so viele Geschichten über den 3. Weltkrieg gelesen, dass es mir manchmal so vorkommt, als könnten wir dieser Zukunft nicht entfliehen, als wäre es sinnlos, sich über irgendetwas den Kopf zu zerbrechen, schließlich werde ich sowieso nicht lange genug leben.
Daniel hat einen Baum mitgebracht, und wir haben ihn dekoriert. Dabei ist sogar ein wenig Weihnachtsstimmung aufgekommen. Der Christbaumschmuck ist sehr alt und sehr wertvoll – fast alles besteht aus Glas. Er ist furchtbar vornehm und stark magisch aufgeladen. Fast hatte ich Angst, ihn zu berühren. Selbst die Lichter sind uralt – venezianische Glaslaternen, in denen früher Kerzen steckten, die aber jetzt mit Fassungen für Glühbirnchen versehen sind. Zwei der Birnchen waren kaputt, und ich habe sie ausgewechselt. Ich vermisse unseren alten Christbaumschmuck. Tantchen Teg
Weitere Kostenlose Bücher