In einer anderen Welt (German Edition)
anstreben – sie sind nicht verrückt, sie sind nicht wie Liz – wenn sie im Wesentlichen das sind, was sie zu sein scheinen, drei Frauen, die immer zusammengelebt haben, dabei nicht richtig erwachsen geworden sind und vielleicht ein wenig mit Magie spielen, um sich das Leben zu erleichtern, dann leuchtet das am meisten ein.
»Werden wir Sam besuchen?«, fragte ich.
»Dafür haben wir nicht genügend Zeit, wenn du deinem Tantchen Teg gesagt hast, dass du am Donnerstag zu ihr fährst.«
»Wir könnten doch das Gleiche machen wie beim letzten Mal«, sagte ich. »Und zwar morgen.«
»Sie möchten bestimmt nicht, dass ich gleich nach Weihnachten wegfahre«, sagte er, und das konnte ich mir gut vorstellen. Sie haben für jeden Feiertag ihre festgelegten Rituale. Sie sind seine Schwestern und seine Arbeitgeber, und sie haben ihn mit einem Bann belegt. Wie sollte ich dagegen ankommen?
Wenn ich Daniel so sehe, tut er mir fast leid. Er ist so liebenswürdig, wie er es innerhalb der Grenzen dessen, was er ist, nur sein kann, und er nimmt die Mauern nicht wahr, die sie um ihn herum errichtet haben. Kein Wunder, dass er meine Mutter geheiratet hat. Es musste jemand sein, der ebenfalls Magie anwenden kann, um ihn von ihnen loszubekommen. Magie und Sex, und vielleicht musste sie auch erst schwanger werden, denn dadurch bestand eine starke Verbindung zwischen ihnen. Igitt. Kein Wunder, dass sie auf den Fotografien so verkniffen aussehen. Aber sie haben nicht lange gebraucht, um ihn zurückzuholen.
Heute war es sonnig und eiskalt. Wir sind alle zusammen auf dem Anwesen spazieren gegangen – wirklich feudal! So etwas habe ich noch nie gesehen. Klasse, ja, hier hat alles Klasse, nur dass es keine Leute gibt, die sich an die Mütze tippen. Zu Mittag gegessen haben wir in einem kleinen Pub namens »Farrier’s Arms«, das buchstäblich in den Hang eines Hügels hineingebaut ist. Das Essen war großartig. Ich hatte Steak und Kidney Pie, die in einer Schüssel serviert wurden, und Pommes und einen labbrigen Wintersalat. Es war trotzdem das beste Essen, das ich seit Langem vorgesetzt bekommen habe. Dort kannten sie eine Menge Leute, und andauernd kam jemand herüber und sagte Hallo. Als wir wieder in Old Hall waren, kamen etliche Leute zum Tee vorbei. Ich durfte die Mince Pies herumreichen, gab mir Mühe, die nette Nichte zu spielen, und erzählte, dass mir die Schule Spaß machte und ich die drittbeste in unserer Stufe sei. Mehrere der Frauen waren in Arlinghurst gewesen, aber nur eine fragte nach dem Pokal. Irgendwann wurde mir klar, dass es nur gut war, all diese Leute kennenzulernen, denn das sind die Freunde meiner Tanten. Wenn ihre Freunde wussten, dass ich Daniels Tochter war, konnte ich nicht einfach verschwinden, ohne dass sie Scherereien bekamen.
Nachdem alle fort waren, bot ich an, das Geschirr zu waschen, aber das wollten sie nicht. Sie möchten mich unbedingt aus der Küche fernhalten. Daniel hat sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, und ich bin nach oben gegangen.
Morgen fahre ich mit dem Zug nach Cardiff. Hoffentlich holt Tantchen Teg mich ab. Auf meinen Brief hat sie nicht geantwortet. Sonst fahre ich eben mit dem Bus das Tal hinauf. Ich habe den Schlüssel zu Opas Haus. Ich muss unbedingt mit Glorfindel reden, auch wenn es nicht leicht ist, von den Feen eine klare Antwort zu bekommen. Aber ich muss es versuchen.
Donnerstag, 27. Dezember 1979
Ich sitze im Zug, in der Ecke eines kleinen Abteils, das ich für mich habe, jedenfalls bisher. Die Landschaft ist mit Reif bedeckt, als hätte jemand Puderzucker darübergestreut. Während der Zug dahinrauscht, spickt hin und wieder die Sonne hinter den Wolken hervor, und wenn wir um eine Kurve fahren, kann ich in der Ferne die Walisischen Berge sehen, die immer näher kommen. Zugfahren ist toll. Während ich hier sitze, spüre ich eine Verbindung zum letzten Mal, als ich hier saß, und auch zu dem Zug nach London. Als befände ich mich zwischen allem, in einem Schwebezustand; als bewegte ich mich gleichzeitig rasend schnell darauf zu und davon weg. Darin liegt Magie – keine Magie, die man wirken kann, sondern eine, die einfach da ist und allem Farbe verleiht.
Ich habe nicht zugelassen, dass sie Löcher in meinen Kopf machen und Schmuck daran aufhängen, um mir meine Magie zu rauben. Und ich bin frei, jedenfalls im Moment, solange der Zug durch Church Stretton und Craven Arms rattert; Shrewsbury liegt weit hinter mir, und bis nach Cardiff ist es noch ein weiter
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