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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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parkte vor einem Juwelier. Im Schaufenster hing ein Schild: ohren stechen lassen. »Dafür ist gerade noch genug Zeit, bevor der Zug abfährt«, sagte sie. »Ich habe deine Ohrringe dabei.«
    »Ich schreie«, sagte ich. »Da kriegst du mich nur mit Gewalt rein.«
    »Sei doch nicht so albern«, sagte Anthea mit der Erwachsenenstimme, die nicht so sehr wütend, sondern bekümmert klingen soll.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht, was sie wusste, wie viel sie darüber wusste, warum ich etwas dagegen hatte. Ich finde, es ist besser, möglichst viel unausgesprochen zu lassen. Wenn ich über Magie reden würde, wüsste sie nicht nur, dass ich ihnen auf die Schliche gekommen bin, sondern sie hätte auch jeden Grund, Daniel zu sagen, ich wäre geistesgestört.
    »Ich werde mir auf keinen Fall die Ohren durchstechen lassen«, sagte ich so bestimmt wie möglich. Dabei hielt ich die Tasche auf meinen Schoß umklammert, was mir half, meine Mitte nicht zu verlieren. »Ich möchte mich nicht schlecht benehmen, ich möchte dich auf der Straße oder im Laden nicht blamieren, aber wenn es sein muss, mache ich das, Tante Anthea.«
    Während ich das sagte, legte ich die Hand auf den Hebel, mit dem man die Autotür öffnet, bereit hinauszuspringen, wenn es sein musste. Meine andere Tasche mit meinen Büchern und noch mehr Kleidern lag im Kofferraum, aber alles, was ich brauchte, befand sich in der Tasche auf meinem Schoß. Die Bücher würde ich nur ungern verlieren, aber dann muss ich sie eben noch mal kaufen. Heinlein sagt, man muss stets bereit sein, sein Gepäck zurückzulassen, und das war ich. Ich weiß, dass ich nicht wirklich rennen kann, aber ich dachte, wenn ich aus dem Wagen sprang und die Straße entlanghumpelte, würde sie mir nachlaufen müssen, und das könnten Leute mitkriegen, die sie kennt, und das wäre ihr peinlich. Obwohl es noch recht früh war, waren bereits einige Fußgänger unterwegs. Falls es zu einem Kampf kommen sollte, hätte ich es wenigstens mit ihr allein zu tun. Ich hatte vielleicht ein schlimmes Bein, aber das bedeutete auch, dass ich einen Stock hatte.
    Wir saßen eine Weile da, und dann verzog sie das Gesicht, ließ den Motor an und fuhr weiter. Am Bahnhof kaufte sie mir eine Hin- und Rückfahrkarte, küsste mich auf die Wange und wünschte mir viel Vergnügen. Sie begleitete mich nicht auf den Bahnsteig. Sie sah aus, als ... ich weiß nicht. Ich glaube, sie ist es nicht gewohnt, dass sich ihr jemand widersetzt.
    Magie ist nicht an sich böse. Aber was sie mit den Menschen macht anscheinend schon.

Freitag, 28. Dezember 1979
    Als der Zug in Cardiff einfuhr, goss es in Strömen, und das ganze Hochgefühl, das die fernen Berge in mir geweckt hatten, wurde vom Großstadtregen fortgespült. Tantchen Teg erwartete mich nicht am Bahnhof. Ich dachte, dass sie wahrscheinlich wütend auf mich war, weil ich ihr am ersten Weihnachtstag nicht geholfen hatte. Ich stapfte aus dem Bahnhof hinaus und ging zur Bushaltestelle hinüber, um den Bus zu nehmen, der das Tal hinauffuhr, und da wurde mir bewusst, dass ich nur 24 Pence im Geldbeutel hatte, zwei Zehner und zwei Zweier, so groß wie Wagenräder und genauso nutzlos. Ich hatte keine Ahnung, woher ich mehr Geld nehmen sollte. Auf meinem Postbankkonto sind noch ein paar Pfund, aber ich hatte mein Sparbuch nicht dabei. Es gibt Leute, die mir Geld leihen würden, aber nicht hier im Bahnhof von Cardiff um die Mittagszeit im Regen. Und mein dummes Bein tat auch wieder weh. Bevor ich mich endgültig dazu entschloss zu trampen, was ich auch schon gemacht habe, aber nur als ich von zu Hause weggelaufen bin, entdeckte ich Tantchen Tegs kleinen orangenen Wagen, der in den Parkplatz einbog. Ich hinkte langsam zu ihr hinüber, um sie abzufangen, bevor sie Geld in die Parkuhr warf. Sie freute sich sehr, mich zu sehen, und machte mir auch keine Vorwürfe. Sie hatte gedacht, ich käme erst mit dem nächsten Zug. Wahrscheinlich habe ich den früheren erwischt, weil Anthea mir vorher noch die Ohren durchstechen lassen wollte.
    Das ist jetzt das zweite Mal, das zweite Mal hintereinander , dass ich irgendwo mit dem Zug angekommen bin und niemand mich abgeholt hat – und ich mir schmerzlich bewusst wurde, dass ich einer solchen Situation nicht gewachsen bin. Das muss aufhören. Ich muss besser vorbereitet sein, und ich brauche mehr Geld. Ich muss für den Notfall immer etwas Geld in der Tasche haben. Sobald ich wieder welches bekomme, lege ich dafür mindestens

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