In einer Familie
wieder den beiden jungen Leuten
zu.
»Aber das ist ja wahr«, rief er mit lauter und fröh-
licher Stimme – »da kommt mir erst jetzt die Idee,
Kinder, ihr könnt am Ende, bis ihr es bei euch ge-
mütlich habt, hier bei uns unterkommen. Wir haben
Platz, und da fäl t mir eben noch ein, daß ich von Mr.
Bright – das ist nämlich unser Wirt – gehört habe,
nebenan werde zum nächsten Ersten die andere
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Hälfte der Etage frei; zwar ist es die kleinere, aber
vielleicht kann sie euch fürs erste genügen.«
Die ungezwungene und rasche Art, wie er diesen
Vorschlag machte, ließ vermuten, daß sich der alte
Herr mit seiner Gattin im Einverständnis befände.
Indes kam keines der beiden Angeredeten auf den
Gedanken, daß ihm sein Einfal , jedenfal s ohne daß
er selbst es wahrnahm, nahegelegt und untergescho-
ben sein könnte.
Vielleicht setzte Frau v. Grubeck, als sie nun seine
Worte bestätigte, ein wenig hastiger und interessier-
ter ein, als es sonst in ihrer Art lag.
»Natürlich ist hier hinreichend Raum für einen
zweiten Haushalt – und außerdem«, fügte sie mit
dem Lächeln, dessen rätselhafter Inhalt Wellkamp
heute nicht zum erstenmal beschäftigte, hinzu, »–
und außerdem werden wir Alten es dann etwas we-
niger einsam haben.«
Jedenfalls gab die so herbeigeführte Lösung der
Frage allen das Bewußtsein, die Situation ein gutes
Stück gefördert zu sehen. Außerdem erfüllte sie den
Major mit rückhaltloser Befriedigung darüber, einen
Aufschub der endgiltigen Trennung von seiner
Tochter erreicht zu haben. Letztere selbst begrüßte
vor allem die Entfernung des einzigen Hindernisses,
welches einer baldigen Verbindung mit dem gelieb-
ten Manne entgegengestanden hatte. Auch die Aus-
sicht, ihren Vater auf diese Weise noch eine Zeitlang
in unmittelbarer Nähe zu behalten, erfreute sie, ob-
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wohl sie andererseits einen schließlichen Wegzug aus
dem Hause der Reichsstraße als selbstverständlich
ansah und um der ersehnten Entfernung willen aus
dem Kreise der ihr unsympathischen Frau ihres Va-
ters auch wünschte. Wellkamp glaubte seinerseits
hierin mit seiner Braut völlig übereinzustimmen,
und so fand er keine Erklärung für den leisen, kalten
Schauer, der während der Entscheidung, welche die
Worte seines Schwiegervaters und Frau v. Grubeck
enthielten, durch sein Blut gegangen war und sein
Herz berührt hatte. Wenn er zugleich den Wunsch
empfunden hatte, die von Herrn v. Grubeck be-
zeichnete, in der nächsten Nachbarschaft gelegene
Wohnung zu seiner ständigen zu machen, so hätte er
denselben sicherlich im nächsten Augenblick mit
guter Überzeugung ableugnen dürfen, so flüchtig
und auch in Gedanken unausgesprochen war er ge-
wesen.
Was Frau v. Grubeck betrifft, so vermutete bei ihr
keiner der andern in dieser Angelegenheit wirkliche
Wünsche und Interessen. Auch war die Gleichgiltig-
keit, die sie gezeigt hatte, wohl nur zur Hälfte un-
wahr. Der Impuls, jene Entscheidung herbeizufüh-
ren, hatte sie selbst, sobald die fragliche Angelegen-
heit zur Sprache gekommen war, ebenso unerwartet
wie unwiderstehlich erfaßt. Wiewohl sie die Gründe
desselben noch nicht kannte, hatte ihr Instinkt sie zu
gleicher Zeit gewarnt, sich durch unvorsichtiges Be-
folgen des ersten Antriebes bloßzustellen. Als sie so-
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dann, dank der Fähigkeit des weiblichen geborenen
Diplomaten, andere unvermerkt zum Aussprechen
der Gedanken, die man selbst nicht laut werden las-
sen möchte, zu leiten, ihr Ziel erreicht, hatte ihr die-
ser Erfolg, während er sie heimlich triumphieren
machte, zugleich auch eine unbestimmte Furcht ein-
geflößt. Das Fehlen unmittelbarer, deutlich erkenn-
barer Gründe für ihre Handlungsweise war dabei
kaum zu ihrer Erkenntnis gelangt. Und dies mag
wunderbarer klingen als es ist. Denn von wie vielen
unserer Handlungen und Äußerungen kennen wir
in demselben Augenblicke, wo wir sie thun, in
Wahrheit die Gründe? Wir mögen häufig äußerliche
Ursachen mit den tieferen Triebfedern verwechseln,
und noch öfter mögen wir uns fingierte Gründe statt
der thatsächlichen unterschieben, zumal wenn wir,
uns letztere zuzugeben, durch unsere Eigenliebe
verhindert werden. Es ist gewiß, daß es um unsere
Selbsterkenntnis anders stehen müßte, sollten wir in
keinem Fal e etwas thun, ohne uns zuvor ein Warum
aufrichtig beantwortet zu haben. Aber es ist ebenso
sicher, daß uns dies nicht zufriedener
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