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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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sich,
    sobald er die Miene annahm, dieselben für sich aus-
    zunutzen, plötzlich zurückzuziehen. Sie fand in
    diesem noch halb kindlichen Spiele, außer der Ge-
    nugtuung, den Gegner – denn so hatte sie ihn von
    Anfang an im stillen genannt – stets aufs neue nach
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    ihrem Wunsche hoffnungsvoll und ernüchtert zu se-
    hen, das aufregende Vergnügen, welches ihr die
    zusammenschauernde Furcht vor einer Gefahr ge-
    währte, zu der es sie dennoch fortwährend hinzog.
    Der junge Engländer mochte seinerseits für eine der-
    artige Verkehrsart, für welche bezeichnenderweise
    seine Sprache das Wort flirt gefunden hat, nicht
    mehr hinreichend empfindlich sein. Es war sicher,
    daß dem eindringlicher werdenden Sensationsbe-
    dürfnisse Doras seine Huldigungen am Ende nicht
    mehr genügten. Halb unbewußt verlangte sie da-
    nach, seine Begierde einmal deutlich und ohne Zu-
    rückhaltung hervortreten zu sehen, sei es auch nur,
    um sie mit desto mehr kühler und spöttischer Über-
    legenheit abweisen zu können. Und dieses Verlangen
    wurde schließlich unwiderstehlich genug, um sie zu
    jener Szene zu verleiten, welche ihr in der späteren
    Erinnerung als die eigentliche Ursache ihres freud-
    losen und ungenützten Daseins erschien. Wie häufig
    vergessen wir in dieser Weise die natürliche Folge
    unseres Geschickes, um ein einzelnes Begebnis, das
    uns vielleicht einen besonders starken Eindruck hin-
    terlassen, als die für sich und ohne Zusammenhang
    bestehende Veranlassung alles Folgenden zu be-
    trachten.
    Jene Szene spielte eines Abends auf der Terrasse
    des Hauses, wo Dora in ihrer Hängematte ruhte,
    welche von dem Verehrer des jungen Mädchens in
    Bewegung gehalten wurde, während er mit der an-
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    dern Hand den unentbehrlichen Fächer führte. Es
    lag noch viel von der außergewöhnlichen Hitze des
    Tages in der Luft. Der junge Mann befand sich in
    einer träumerischen und empfänglichen Stimmung,
    wie er auf das reizende Mädchen herniederblickte,
    deren abgerissenes Lachen zeitweilig das einzige
    vernehmbare Geräusch war in der müden Stille
    ringsumher. Über ihnen hing eine grotesk bunte
    Leinenmarquise. Außerhalb dieses Daches sah der
    wolkenlose Himmel hervor, den die hereinbre-
    chende Dämmerung stahlblau färbte. Zu ihren Fü-
    ßen breitete sich der Garten aus mit seinen ungeheu-
    ren tropischen Gewächsen und der Farbenpracht
    seiner Blumen. Dies alles und nicht weniger das
    schöne Mädchen in seiner Gesellschaft erschienen
    dem jungen Manne unter den Bedingungen einer
    zeitweiligen Stimmung ungewohnter und märchen-
    hafter als sonst, und zugleich verlockender und be-
    gehrenswerter als je zuvor. Als Dora seine unver-
    mutete heftigere Annäherung wahrnahm, konnte
    sie, wie in einem Rausche des Übermutes und der
    Neugierde befangen, nicht anders, als ihn durch
    gesteigerte Herausforderungen ermutigen. Sie hielt
    damit erst, gewaltsam erschreckt, inne, sobald sie
    seine körperliche Berührung spürte. Während seine
    Hände von der Hängematte herab um ihre Schulter
    und dann um ihren Leib glitten, während seine Be-
    wegungen heftiger und unverhüllt begehrlicher wur-
    den, war ihr Lachen lauter und krampfhafter gewor-
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    den, um schließlich in ein gewaltiges Schreien über-
    zugehen, in dem so viel tiefstes Grauen und zugleich
    eine solche grausame Härte lag, daß der junge Mann
    augenblicklich zurückschrak. Sofort sprang sie auf
    und war mit wenigen Sätzen in ihrem Zimmer, wo
    sie sich einschloß, unter unaufhörlichem Geschrei,
    welches nun das der Wut geworden war, der macht-
    losen und in ihrem Bewußtsein kaum begründeten-
    Wut gegen den Gegner. Am gleichen Abend, mit
    Hast und ohne Überlegung, als ob sie dem Instinkt
    der Selbsterhaltung folgte, berichtete sie ihrem Vater
    über das Vorkommnis. Sie wußte durch ihre sicht-
    liche Aufregung, sowie durch eine zu seinen Un-
    gunsten gehaltene Schilderung des Vorganges die
    alsbaldige Entfernung des jungen Mannes herbeizu-
    führen. So konnte sie in der nächsten Zeit, welche ihr
    nach der nervösen Gereiztheit der vergangenen Wo-
    chen Ruhe und Erschlaffung der Sinne brachte, jene
    Episode beendet und unschädlich gemacht glauben,
    um erst langsam der Wirkungen, welche sie in ihrem
    ferneren Innenleben gezeitigt, gewahr zu werden.
    Stärker als das Vergnügen, das ihr in dem Um-
    gange mit dem jungen Engländer das Spielen mit der
    wohl gekannten Gefahr bereitet hatte, war jetzt in
    ihr die einfache Furcht vor der letzteren. Nach

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