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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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machen
    würde.
    Hierfür konnte auch diese Frau als Beweis gelten,
    die mehr als andere gewöhnt war, sich in einsamen
    Stunden mit sich selbst zu beschäftigen und ihr In-
    nenleben auszuhorchen.
    Frau v. Grubeck blieb auch jetzt allein, nachdem
    ihr Gatte sich mit seinen Kindern in sein »Atelier«
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    begeben, wo Wellkamp in seine Malstudien, die
    Frucht einer mit Eifer geübten Beschäftigung des al-
    ten Herrn, Einsicht nehmen sollte. Als die drei das
    Zimmer verlassen, erschien der Diener, um das
    Theeservice abzuräumen. Dann störte niemand
    mehr die Herrin des kleinen Gemaches, von dessen
    in dunklen Farben gehaltener und dämmerig be-
    leuchteter Ausstattung sich ihre weißgekleidete Ge-
    stalt seltsam abhob, wie sie ohne Bewegung, in un-
    veränderter, graziös-nachlässiger Haltung in ihren
    Sessel gelehnt, dasaß.
    Von der Majolikaplatte der Konsole, aufweiche die
    junge Frau unverwandt ihren Blick gerichtet hielt,
    klang das feine, durchdringende Ticken einer Minia-
    tur-Stutzuhr. Ringsumher standen auf Schreibtisch
    und Etagèren die unzähligen kleinen Zwecklosigkei-
    ten, die scheinbar so nichtssagend sind, während sie in
    Wahrheit gleichsam den Niederschlag eines feinen
    und eleganten Frauenlebens bedeuten. Auf das vor
    der Dame stehende arabische Tabouret hatte der Die-
    ner den gelben Romanband gelegt, welcher unter den
    auf dem größeren Mitteltisch umhergestreuten durch
    ein Lesezeichen als der zur Zeit im Gebrauch befind-
    liche angedeutet gewesen war. Frau v. Grubeck
    pflegte die Stunden bis gegen ein Uhr mit Lektüre
    auszufüllen. Nach dem Frühstück ruhte sie und un-
    ternahm zuweilen eine Ausfahrt, um von fünf Uhr ab
    ihre Zeit der Toilette für das um sieben Uhr stattfin-
    dende Diner zu widmen. Der Abend, ein langausge-
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    dehnter Abend, sah sie wieder an ihrem gewohnten
    Platze in ihrem Boudoir, wenn sie nicht, was selten
    genug geschah, für die letzten Akte in die Oper fuhr.
    Eine andere Abwechslung brachten ihre Tage kaum
    mit sich. Und dies war nicht das Leben einer Greisin,
    sondern dasjenige einer Frau von nicht ganz achtund-
    zwanzig Jahren.
    Dora Linter stammte väterlicherseits aus einer
    deutsch-jüdischen, seit zwei Generationen getauften
    Familie. Ihr Vater hatte in Rio de Janeiro, wo er sein
    Vermögen gemacht, eine gefeierte Dame der dorti-
    gen Gesellschaft, eine Kreolin, geheiratet. In früher
    Kindheit mutterlos geworden, war Dora ohne viel
    andere Gesellschaft als die ihrer Dienerinnen aufge-
    wachsen. Und während das bei seiner auffallenden
    lichten Blondheit eigentümlich stille und indiffe-
    rente Mädchen von frühauf an das unthätige, bloß
    vegetierende Dasein der südamerikanischen Damen
    gewöhnt wurde, wuchs zugleich ihre Verschlossen-
    heit und ihr Trotz. Körperlich und geistig schnell
    entwickelt, wie sie nach Art der dortigen jungen
    Mädchen war, schien es nicht ausbleiben zu können,
    daß sich früh das südländische Blut in ihr zu regen
    begänne. Gleichwohl befand sie sich bis fast an ihr
    sechzehntes Jahr in einem Zustande der seelischen
    Unberührtheit und Ahnungslosigkeit, dessen sie
    sich später, in den Leiden ihrer durch streitende
    Triebe gebrochenen Natur, häufig mit schmerz-
    lichem Neide erinnerte. Daß das junge Mädchen so
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    lange in ihrem Sinnenleben ein Kind blieb, mochte
    nicht zum kleinsten Teil der religiösen Erziehung zu
    danken sein, der einzigen gründlichen, welche sie
    überhaupt erhielt, und welche zu frühe Wünsche mit
    sanfter Hand zurückhielt, während sie zugleich dem
    Gefühlsleben der Heranwachsenden ihre reiche
    Nahrung zuführte.
    So kam es, daß der erste männliche Umgang, der
    nach einer fast gänzlich abgeschlossen verlebten
    Kindheit an sie herantrat, eine eigentümliche Wir-
    kung auf Dora übte. Anfangs empfand sie nichts als
    Schüchternheit und Furcht vor etwas Unbekanntem.
    Der junge Mann, ein Angestellter ihres Vaters, den
    dieser, da er aus guter englischer Familie war, häufig
    in seine Häuslichkeit einlud, wurde dadurch verlei-
    tet, sie als kleines Mädchen zu behandeln. Er gestat-
    tete sich ihr gegenüber, in scheinbar spielender
    Weise, von Anfang an mehr, als er ohne ihre verle-
    gene Haltung gethan hätte. Letztere verlor sich nur
    zu bald. Das junge Mädchen begann zwar nicht zu
    empfinden, aber zu begreifen. Zugleich stellte sich
    bei ihr die Lust ein, seine Überlegenheit in ihrem
    Verkehr zu brechen. So machte sie ihm nun kleine,
    scheinbar bedeutungslose Zugeständnisse, um

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