In einer Familie
Umherziehen hatten Vater
und Tochter in Berlin Aufenthalt genommen, wo sie
in bevorzugten Kreisen ohne Mühe die schmeichel-
hafteste Aufnahme fanden. Während ihr Vater durch
neugeknüpfte, hoffnungsvolle Geschäftsverbindun-
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gen in rosige Laune versetzt wurde, war auch Doras
Stimmung infolge der neuen Unregelmäßigkeit ihres
Lebens und durch die ungewohnten Anregungen der
Reise von dem bisherigen Druck der Langeweile und
Gleichgiltigkeit befreit. So wie sie in ihrem neuen
Kreise erschien, den schon bemerkbaren Mangel er-
ster Jugendlichkeit durch den vollendeten Ausdruck
der großen Dame ausgeglichen und vergessen ge-
macht, und auf dem Hintergrunde gedacht, welchen
die Mil ionen ihres Vaters bildeten, stand dem jungen
Mädchen alsbald die Wahl unter Männern offen, von
denen mancher auch ihrem verwöhnten und etwas
abgestumpften Geschmack wünschenswert erschei-
nen konnte. Wenn gleichwohl der bescheidenste Ver-
ehrer, der nicht mehr junge Major a. D. v. Grubeck,
den Vorzug erhielt, so waren die Gründe, wie in der
Mehrzahl der nicht seltenen Verbindungen eines un-
bedeutenden Mannes mit einer zu hohen Ansprü-
chen berechtigten Frau in der tieferen Natur der letz-
teren zu suchen.
In der That sah Dora eine Ehe, wie sie sie nun ein-
ging, als die ihren Bedürfnissen einzig angemessene
an. Sie berechnete, nur durch das moralische Über-
gewicht über den Gatten auch die Herrschaft über
die eigene Natur erlangen zu können. Das ewig un-
fruchtbare Reizungsbedürfnis, welches bisher fast
allein ihr Gefühlsleben ausgemacht hatte, hoffte sie
auf solche Weise befestigen zu können. Hierfür und
für alles andere sollte ihr das Bewußtsein der Über-
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legenheit über die immer noch kräftige Männlich-
keit Grubecks Ersatz bieten. Nebenbei, ob sie es nun
eingestand oder nicht, teilte sie ein wenig den Re-
spekt vor Herkunft und Titel, welchen ihr Vater,
gleich den meisten Deutsch-Amerikanern, unter den
Lebensgewohnheiten der Fremde nicht nur bewahrt,
sondern sogar verstärkt hatte. So glaubte Dora da-
mals, in der Ehe, welche nach so vielen Kämpfen
doch ein Ziel und einen Friedensschluß bedeutete,
jedenfalls Ruhe und vielleicht Befriedigung zu fin-
den. Aber sehr rasch, sobald man sich in Dresden
niedergelassen, und der alte Herr Linter abgereist
war, um die 250 000 Dollars, die er seinem Schwie-
gersohne hinterlegt, mit möglichster Eile wieder ein-
zubringen, mußte die junge Frau bemerken, daß sie
sich in einem Punkte verrechnet hatte. Sie hatte nicht
vorausgesehen, daß das eheliche Leben das lange stil
gebliebene Verlangen ihrer Sinne wieder erwecken
würde, ohne ihm doch genügen zu können. An der
Seite des ungeliebten Gatten begannen alsbald die
Kämpfe von neuem, welche jenem ersten Erlebnisse
ihrer Mädchenzeit gefolgt waren. Und wie damals,
war auch jetzt das Ergebnis, daß sie sich zurückzog
und abschloß in einer peinigenden Furcht, in ihrem
jetzigen Gefühlszustande einer Versuchung notwen-
dig erliegen zu müssen, zu welcher sie von ihren ver-
steckten Wünschen gedrängt ward. Auch darin wie-
derholte sich ihr Schicksal, daß sie, wie damals den
jugendlichen Verehrer, nun den Gatten für das Un-
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glück ihrer nie befriedigten Natur verantwortlich
machte.
Herr v. Grubeck ahnte seinerseits sehr bald den
Haß, der aus den zwischen seiner Gattin und ihm
liegenden schweigenden Vorwürfen zuweilen in
einem schnellen Wort aufleuchtete. Die Folge war,
daß er sich, so viel wie es ihm unauffäl ig thunlich er-
schien, von Dora zurückzog, während er zugleich in
ihrer Gesellschaft seine Aufmerksamkeiten verdop-
pelte, beides in einem nicht ganz unberechtigten
Schuldbewußtsein, das dahin führte, ihn der Frau
gegenüber stets gedrückter und willenloser zu ma-
chen.
Die Neigungen der Gatten trafen sich darin, an
einem bei allen Annehmlichkeiten der großen Stadt
dennoch nicht allzu verkehrsreichen Orte wie Dres-
den ein behagliches und möglichst zurückgezogenes
Leben zu führen. Mit dem für ganz nach außen ge-
kehrte, auf Thatkraft gestellte Naturen, wie die seine
so melancholischen Gefühl des herannahenden Al-
ters nahm das Bequemlichkeits-Bedürfnis des Ma-
jors zu, der sich mehr und mehr gegen die Pflichten
einer nicht um ihrer selbst willen geliebten Häus-
lichkeit abschloß. Dagegen wurde die Zurückgezo-
genheit Frau v. Grubecks unmittelbar durch die Ver-
hältnisse und die Stimmung ihres Ehelebens
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