In einer Familie
nachzugehen
ein volles Leben befriedigen kann. Je mehr sich dies
Ziel in ihr befestigt, desto mehr mußte ihr jetzt
daran gelegen sein, es mit der unerwarteten neuen
Wendung, die ihr Weg genommen, zu vereinigen,
sich mit dem Manne, ohne den sie ihre Zukunft nicht
mehr dachte, über einen so wichtigen Bestandteil ih-
res Denkens und Empfindens zu verständigen.
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So hatte sich Anna allerdings auf die nun bevor-
stehende, für sie so wichtige Unterredung vorberei-
tet, und die innere Ruhe, die sie ihr entgegenbrachte,
war so vol ständig, daß sie die kleine Störung, welche
ihr die Erwähnung des fatalen Bildes verursacht,
jetzt bereits überwunden hatte.
Wellkamp verstand wohl schon so viel in ihrem
Gesichte zu lesen, um die Festigkeit, welche daraus
sprach, zu erkennen und zu fühlen, wie sie über al-
les, womit das junge Mädchen in Berührung kam,
eine eigentümliche Macht gewann.
Dies erschien ihm auch in der Einrichtung des
stillen, von den übrigen, untereinander verbunde-
nen Räumen der Wohnung abgeschlossenen Zim-
merchens ausgedrückt zu liegen, in dem sie einan-
der gegenüber saßen, sie auf einem altmodischen
geschweiften Sopha, er in einem weiten, mit einer
verblichenen Tapisserie bekleideten Korbstuhl.
Überal waren zwischen das ursprüngliche moderne
Ameublement des Raumes solche ältere Stücke ge-
stellt, welche von der Mutter des jungen Mädchens
und aus deren Mädchenzeit stammen mochten, so
eine große, mit Perlenstickerei gefertigte Land-
schaft, die als Schirm vor dem Kamin stand, und das
Klavier von einer längst außer Anwendung gekom-
menen Form. Die hier und da angebrachten Photo-
graphien und Stiche wiesen einen besonderen, ein
wenig strengen Geschmack auf. Alles dies stimmte
gut zu der Erscheinung der jungen Bewohnerin des
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Raumes. Auch in der schlichten Art, wie sie ihr vol-
les dunkles Haar trug, auch in dem einfachen, wie-
wohl thatsächlich nicht merklich von der Mode ab-
weichenden Schnitt ihres Kleides schien etwas
Fremdes, in gewisser Weise Altmodisches zu liegen,
und in ihrem Gesichte prägte sich bei aller frischen
Jugendlichkeit ein seltsam ernster, strenger Grund-
zug aus. Es war der in dieser Umgebung überra-
schende Typus eines russischen Steppengesichtes
mit der nicht breiten, doch reinen, vornehmen
Stirn, der feinen und dabei energischen Nasenwur-
zel, den vollen Lippen des schöngeformten, nicht
kleinen Mundes und der aus dem allen redenden
Anlage zum Befehlen und der Willensstärke, wel-
che unter Umständen bis zur einseitigen Be-
schränktheit gehen kann.
Den Eindruck einer eigenen, geschlossenen Per-
sönlichkeit, dem er immer aufs neue im Verkehr mit
seiner Braut unterlag, empfand Wellkamp in diesen
ersten Augenblicken der schweigenden Beobach-
tung stark und bis zu einer förmlichen Entmutigung,
seine Meinungen jetzt noch den ihrigen entgegenzu-
setzen. Er hörte ihren Auseinandersetzungen, die sie
in ruhiger, gar nicht aufdringlicher und vielleicht
darum jeden Widerspruch nahezu ausschließender
Weise gab, in der träumerischen, behaglichen Stim-
mung zu, in die nervöse und nicht willensstarke
Menschen in der Gesellschaft ruhiger und überlege-
ner Persönlichkeiten verfallen können.
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Gelegentlich nur ward er aus seiner schweigsamen
Hingabe herausgerissen durch eine ihrer Fragen,
eine der naiven Fragen, die einem weniger beeinfluß-
ten, ruhigen Zuhörer ohne weiteres die vollständige
Jugendlichkeit der Denkweise der Fragestellerin ver-
raten hätten; denn für sie bedeutete die von ihr be-
sessene Wahrheit und der Irrtum der Andersgläubi-
gen die schroffsten Gegensätze, die sie nicht in der
Idee zusammenfaßte. Sie vermochte nicht vermit-
telnd zu denken und kannte keine Vielheit der Ge-
sichtspunkte.
Einmal wenigstens, als sie ihm seine Beweise für
das Dasein eines Gottes, an welches zu glauben er
vorgäbe, abverlangte, vermochte er eine abgerun-
dete, gelegentlich einmal zu eigenem Tröste zurück-
gelegte Antwort vorzubringen.
»Siehst Du«, sagte er, »Du kannst alles, was in un-
serm Empfinden und in unseren Schicksalen für das
Dasein eines persönlichen Gottes zu sprechen
scheint, trügerisch nennen. Auch ich empfinde es im
Grunde als einen Trug, aber es scheint mir einer in
der Art etwa der Fata Morgana zu sein. Hinter der
phantastisch schonen Luftspiegelung, welche sie uns
vorzaubert, gibt es doch immer, in weiter Ferne, et-
was das gespiegelt wird und
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