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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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nachzugehen
    ein volles Leben befriedigen kann. Je mehr sich dies
    Ziel in ihr befestigt, desto mehr mußte ihr jetzt
    daran gelegen sein, es mit der unerwarteten neuen
    Wendung, die ihr Weg genommen, zu vereinigen,
    sich mit dem Manne, ohne den sie ihre Zukunft nicht
    mehr dachte, über einen so wichtigen Bestandteil ih-
    res Denkens und Empfindens zu verständigen.
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    So hatte sich Anna allerdings auf die nun bevor-
    stehende, für sie so wichtige Unterredung vorberei-
    tet, und die innere Ruhe, die sie ihr entgegenbrachte,
    war so vol ständig, daß sie die kleine Störung, welche
    ihr die Erwähnung des fatalen Bildes verursacht,
    jetzt bereits überwunden hatte.
    Wellkamp verstand wohl schon so viel in ihrem
    Gesichte zu lesen, um die Festigkeit, welche daraus
    sprach, zu erkennen und zu fühlen, wie sie über al-
    les, womit das junge Mädchen in Berührung kam,
    eine eigentümliche Macht gewann.
    Dies erschien ihm auch in der Einrichtung des
    stillen, von den übrigen, untereinander verbunde-
    nen Räumen der Wohnung abgeschlossenen Zim-
    merchens ausgedrückt zu liegen, in dem sie einan-
    der gegenüber saßen, sie auf einem altmodischen
    geschweiften Sopha, er in einem weiten, mit einer
    verblichenen Tapisserie bekleideten Korbstuhl.
    Überal waren zwischen das ursprüngliche moderne
    Ameublement des Raumes solche ältere Stücke ge-
    stellt, welche von der Mutter des jungen Mädchens
    und aus deren Mädchenzeit stammen mochten, so
    eine große, mit Perlenstickerei gefertigte Land-
    schaft, die als Schirm vor dem Kamin stand, und das
    Klavier von einer längst außer Anwendung gekom-
    menen Form. Die hier und da angebrachten Photo-
    graphien und Stiche wiesen einen besonderen, ein
    wenig strengen Geschmack auf. Alles dies stimmte
    gut zu der Erscheinung der jungen Bewohnerin des
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    Raumes. Auch in der schlichten Art, wie sie ihr vol-
    les dunkles Haar trug, auch in dem einfachen, wie-
    wohl thatsächlich nicht merklich von der Mode ab-
    weichenden Schnitt ihres Kleides schien etwas
    Fremdes, in gewisser Weise Altmodisches zu liegen,
    und in ihrem Gesichte prägte sich bei aller frischen
    Jugendlichkeit ein seltsam ernster, strenger Grund-
    zug aus. Es war der in dieser Umgebung überra-
    schende Typus eines russischen Steppengesichtes
    mit der nicht breiten, doch reinen, vornehmen
    Stirn, der feinen und dabei energischen Nasenwur-
    zel, den vollen Lippen des schöngeformten, nicht
    kleinen Mundes und der aus dem allen redenden
    Anlage zum Befehlen und der Willensstärke, wel-
    che unter Umständen bis zur einseitigen Be-
    schränktheit gehen kann.
    Den Eindruck einer eigenen, geschlossenen Per-
    sönlichkeit, dem er immer aufs neue im Verkehr mit
    seiner Braut unterlag, empfand Wellkamp in diesen
    ersten Augenblicken der schweigenden Beobach-
    tung stark und bis zu einer förmlichen Entmutigung,
    seine Meinungen jetzt noch den ihrigen entgegenzu-
    setzen. Er hörte ihren Auseinandersetzungen, die sie
    in ruhiger, gar nicht aufdringlicher und vielleicht
    darum jeden Widerspruch nahezu ausschließender
    Weise gab, in der träumerischen, behaglichen Stim-
    mung zu, in die nervöse und nicht willensstarke
    Menschen in der Gesellschaft ruhiger und überlege-
    ner Persönlichkeiten verfallen können.
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    Gelegentlich nur ward er aus seiner schweigsamen
    Hingabe herausgerissen durch eine ihrer Fragen,
    eine der naiven Fragen, die einem weniger beeinfluß-
    ten, ruhigen Zuhörer ohne weiteres die vollständige
    Jugendlichkeit der Denkweise der Fragestellerin ver-
    raten hätten; denn für sie bedeutete die von ihr be-
    sessene Wahrheit und der Irrtum der Andersgläubi-
    gen die schroffsten Gegensätze, die sie nicht in der
    Idee zusammenfaßte. Sie vermochte nicht vermit-
    telnd zu denken und kannte keine Vielheit der Ge-
    sichtspunkte.
    Einmal wenigstens, als sie ihm seine Beweise für
    das Dasein eines Gottes, an welches zu glauben er
    vorgäbe, abverlangte, vermochte er eine abgerun-
    dete, gelegentlich einmal zu eigenem Tröste zurück-
    gelegte Antwort vorzubringen.
    »Siehst Du«, sagte er, »Du kannst alles, was in un-
    serm Empfinden und in unseren Schicksalen für das
    Dasein eines persönlichen Gottes zu sprechen
    scheint, trügerisch nennen. Auch ich empfinde es im
    Grunde als einen Trug, aber es scheint mir einer in
    der Art etwa der Fata Morgana zu sein. Hinter der
    phantastisch schonen Luftspiegelung, welche sie uns
    vorzaubert, gibt es doch immer, in weiter Ferne, et-
    was das gespiegelt wird und

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