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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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hin-
    aus verlangenden Ausdruck des sinnlichen Verlan-
    gens darstellte.
    Diese Überlegung hatte indes die heimliche, hin-
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    gegebene Stimmung aufgelöst, in der ihn die Nähe
    und das Gespräch seiner Braut bisher unterhalten.
    Der Zauber, den sie auf ihn ausübte, war zuletzt ein-
    fach auf ihre Gesundheit und Natürlichkeit zurück-
    zuführen. Davon strömte mit jedem ihrer Worte eine
    Fülle zu ihm hinüber, der gleichsam in geistiger
    Krankenluft zu leben gewohnt war. War nicht dies
    der größte, entscheidende Vorzug, den Anna von
    Anfang an für ihn gehabt? Durchaus im Wider-
    spruch hiermit fand er nun plötzlich diesen Einfluß
    unbehaglich und störend und fühlte sich versucht,
    ihn von sich abzuschütteln. Es war etwas von dem
    Trotze des Kranken, der sich nur ungern zum er-
    stenmale zum Verlassen des Lagers bewegen läßt
    und keinen Gefallen mehr an dem Leben der Gesun-
    den findet, dessen ihn sein Zustand seit so langer
    Zeit entwöhnt hat. Wellkamp fühlte sich in unbe-
    stimmter Weise gedrängt, diesem liebgewonnenen
    Zustande in irgend etwas nachzugeben und ihn zu
    unterhalten; es war ihm freilich nicht klar, wodurch?
    Doch widerstand er nicht dem Triebe, der ihn hin-
    derte, auch nur eine Minute länger diese Unterhal-
    tung fortzusetzen.
    Mitten in einer weiteren Bemerkung des jungen
    Mädchens sprang er, fast wider seinen eigenen Wil-
    len, auf und verabschiedete sich eilig, indem er eine
    ihm plötzlich eingefallene Angelegenheit in der
    Stadt vorschützte. Wenngleich er mit seinem Beneh-
    men nicht zufrieden war, atmete er doch leichter, als
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    er die Thüre des kleinen altmodischen Zimmers hin-
    ter sich geschlossen hatte. In Frau v. Grubecks Bou-
    doir, das er passierte, obwohl er einen andern Aus-
    gang vom Speisezimmer aus hätte benutzen können,
    fand er Dora an ihrem gewohnten Platze. In dem
    Halbdunkel des Gemaches – von der hohen bronze-
    nen Lampe hing über dem Schirm noch eine seidene
    Draperie – konnte Wellkamp, der aus der hellen Be-
    leuchtung, welche Anna liebte, herausgetreten war,
    nur undeutlich die lichtgrau gekleidete Gestalt un-
    terscheiden; doch fühlte er, wie gewöhnlich in ihrer
    Nähe, ihre Augen auf sich gerichtet. Sie schien heute
    noch keines der Bücher geöffnet zu haben, die auf
    dem Tischchen neben ihr lagen; ihre Hände ruhten
    müßig im Schoße. Um ihm, der nach der Begrüßung
    einen Augenblick unschlüssig vor ihr stand, ihre Be-
    schäftigungslosigkeit zu erklären – er fragte sich spä-
    ter, ob es nur deswegen geschehen sei –, erzählte sie
    dem jungen Manne, daß sie sich die verflossene
    Stunde in ihren einsamen Gedanken noch immer mit
    dem Inhalt des wunderlichen Bildes beschäftigt, von
    dem er während des Diners erzählt.
    »Ich grübele gern über solchen geheimnisvollen
    Dingen«, fügte sie auf seine verwunderte Frage
    hinzu, »und ich glaube auch an sie.«
    Und als er noch immer schwieg, – »vielleicht ge-
    rade darum, weil man sie niemals zu sehen be-
    kommt.«
    »Also wäre es Ihnen etwa angenehm«, fragte Wel -
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    kamp, »die Austeilung zu besuchen, um das Ge-
    mälde kennen zu lernen?«
    »Durchaus nicht«, erwiderte sie rasch und mit
    einer abwehrenden Bewegung; »wahrscheinlich
    wäre der ganze Reiz für mich verloren, wenn ich es
    sehen würde. Möglichenfalls ist die Malerei viel zu –
    natürlich. Ich könnte gewiß nicht mehr so – so
    meine Andacht halten, wie heute.«
    Obwohl Wellkamp bisher nicht an die Möglich-
    keit gedacht, vielmehr einen wiederholten Besuch
    der Ausstellung als selbstverständlich angenommen
    hatte, regte sich bei Doras Worten ein Gefühl in ihm,
    das ihr eifrig zustimmte. Auch ihm erschien es nun
    unbedingt geboten, die tief innerliche Berührung,
    die er empfangen, nicht durch häufigere Anwendung
    des äußeren Mittels, das sie ihm verschafft, abzu-
    schwächen und, was in diesem Falle unvermeidlich
    sein würde, äußerlicher zu machen.
    »Sie haben recht«, sagte er mit gesenkter Stimme,
    »das liegt wohl im Wesen des Geheimnisvollen.«
    Während ihn die in dieser besondern Weise er-
    folgte Erwähnung des letzten Wortes die leichten
    Schauer empfinden ließ, denen er in nervös angereg-
    ter Stimmung wie der dieses Abends häufig unter-
    worfen war, gewahrte er in ihren Augen, zu denen er
    die seinen eben jetzt wieder erhob, den nämlichen
    außergewöhnlichen Ausdruck, der ihn das erste Mal
    während der Tafel betroffen gemacht. Und zugleich
    fühlte er mit völliger Sicherheit,

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