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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Abwe-
    senheit von Zeugen zu geben wünschte. Mit ihren
    Gedanken beschäftigt, ließen die beiden jungen
    Leute während des Restes der Tafel den Major fast
    allein das Gespräch unterhalten. Während er und
    seine Gattin sich nach Beendigung der Mahlzeit in
    ihre Zimmer zurückzogen, begaben sich Anna und
    Wel kamp in stil em Einverständnisse gemeinsam in
    den, Doras Boudoir gegenüber, auf der andern Seite
    des Speisezimmers gelegenen kleinen Salon, Annas
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    gewöhnlichen Aufenthalt, wo sie sich ungestört
    über ihr Verhältnis zu den angeregten Fragen ver-
    ständigen konnten. Der Major kam noch einmal
    herüber, um sich zu erkundigen, ob man nicht eine
    Tasse Thee nähme. Als diese abgelehnt ward, ent-
    fernte sich der alte Herr, dem es schließlich bei dem
    Charakter seiner Tochter unumgänglich dünken
    mochte, gelegentlich die Geister aufeinanderplatzen
    zu sehen.
    Der Vater besaß, wie in den meisten ähnlichen
    Fällen, mehr Verständnis für die Art seines Kindes,
    als dieses selbst ihm zuschrieb. Er ahnte wohl, daß
    die Ruhe und Abgeschlossenheit, welche das Wesen
    der Tochter trotz ihrer großen Jugend kennzeich-
    nete, mit den außerordentlich festen Meinungen, die
    sie sich über gewisse Dinge gebildet, verknüpft war.
    Wovon er dagegen nicht wußte, waren die schweren,
    stillen Kämpfe, unter denen jene Ruhe erworben
    war.
    Anna war damals zur Welt gekommen, als die
    junge Frau, welche ihr Gatte schon jetzt zu vernach-
    lässigen begonnen hatte, still und bitter die ersten
    Leiden ihrer immer freudloser werdenden Ehe
    durchlebte. Es war, als sei von jener Stimmung der
    Mutter etwas in das Wesen des Kindes übergegan-
    gen. Es suchte später in dem heranwachsenden Mäd-
    chen, das die Krankheit der Mutter sich steigern und
    steigern sah, ein dumpfes Gefühl nach seinem Aus-
    druck, welches den Vater beschuldigte – wessen
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    doch? Wenn sich dann das Herz, das den gütigen
    und frohen Vater liebte, gegen solche Pietätlosigkeit
    empörte, so ergaben sich aus diesem ersten Wider-
    spruch ihrer Natur die ersten Kämpfe. Dann starb
    die blasse Frau, an deren Lager Anna fast ein Jahr
    lang den größten Teil ihrer Tage zugebracht, und zu
    dem Schmerz über diesen trotz der langsamen Vor-
    bereitung ungeahnt und unbegreiflich schrecklichen
    Verlust gesellte sich der für die Zurückgebliebene
    nicht weniger empfindliche, die innige religiöse
    Überzeugung, welche das teuerste Erbteil von der
    Verstorbenen bildete, den jetzigen Prüfungen nicht
    standhalten zu fühlen.
    Letztere hatten, mit dem schmerzlichen Nach-
    denken, das sie erregten, zweifellos in hervorragen-
    dem Maße auch die seelische Entwickelung des jun-
    gen Mädchens begünstigt, welches jetzt kaum erst
    achtzehn Jahre zahlte. Es war ihr, ohne daß der Va-
    ter, den eine Art Scham davon zurückhielt, ihr dar-
    über Erklärungen gegeben hätte, deutlich, daß die
    schwierigen häuslichen Verhältnisse ihr künftig
    eigene Arbeit notwendig machen würden, und sie
    begann sich alsbald auf eine geeignete Thätigkeit in
    aller Stille vorzubereiten. Ihr Vater ließ sie, erfreut
    über ihre verständige Schickung in die unvorherge-
    sehene Lage, den Weg betreten, welcher sie schnell
    weiter und weiter von den Grundbedingungen sei-
    ner eigenen Anschauungen entfernen sollte. Von der
    pädagogischen und philosophischen Litteratur, wel-
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    che sie anfänglich zu ihrer wissenschaftlichen Aus-
    bildung gewählt, geriet sie, infolge textlicher Hin-
    weise, welche sie darauf aufmerksam machten, und
    durch eine seltsame, ahnungsvolle Neugierde gelei-
    tet, an die Lektüre volkswissenschaftlicher, sozia-
    listischer Schriften. Ganz natürlich stießen die Auf-
    fassungen, welche sie dort antraf, und welche, mit
    der Begeisterungsfähigkeit und idealistischen Ge-
    rechtigkeitsliebe eines jugendlichen Geistes kennen
    gelernt, ohne weiteres bereits so viel Verführerisches
    in sich schließen, in dem Gemüte des jungen Mäd-
    chens auf einen besonders günstig vorbereiteten Bo-
    den. Gleich unzähligen Mühseligen und Beladenen
    von heute nahm sie mit allem Vermögen ihres Gei-
    stes und ihrer Empfindung die neue, weltliche Reli-
    gion in sich auf.
    Es waren nun zwei Jahre, daß auf solche Weise der
    seelische Zwiespalt jener Zeit in ihr ausgeglichen
    war, die sie jetzt selbst als Übergangsjahre ansah,
    und das junge Mädchen schrieb sich seither in ihrem
    ganzen Wesen die Abgeschlossenheit zu, die ein un-
    verrückbares inneres Ziel verleiht, dem

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