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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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vergaß – »aber ich denke, daß die Kunst, wenn
    sie nämlich überhaupt irgend etwas ›soll‹, es sich zur
    al erersten Aufgabe machen muß, die übersinnlichen
    Vorstellungen, die für das Kulturleben unentbehr-
    lich sind und bleiben, zu unterhalten.«
    Mochte Anna dadurch, daß sie in jenem kurzen
    Augenblick die Wirkung der von ihr kritisierten
    Vorstellungen, durch die Erzählung ihres Verlobten
    hervorgerufen, in dem Auge der ihr verhaßten Frau
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    gesehen, erregt sein: der Klang ihrer Stimme war in
    ihrer neuen Antwort noch härter als vorher, und es
    mischte sich sogar etwas wie Spott hinein.
    »Ach! Du bist also Reaktionär?«
    »Wenn’s nur gut gemalt ist!« Der Major ver-
    suchte, durch eine Wiederholung dieses Lenbach-
    schen Wortes das Gespräch, welches in gefährliche
    Bahnen zu laufen schien, zurückzulenken. Die bei-
    den jungen Leute drohten auf eine unheimliche
    Weise, politisch zu werden, was Herr v. Grubeck im-
    mer für unnütze Aufregung gehalten hatte. Er selbst
    war immer pflichtgemäßer Christ und Monarchist
    gewesen, ohne vor einigen dem Liberalismus zu ma-
    chenden Zugeständnissen, die er seiner Zeit schuldig
    zu sein glaubte, zurückzuschrecken.
    Wellkamp seinerseits war in der That »Reaktio-
    när«, und zwar in der besonderen Weise, wie diese
    Richtung der Gesinnungen neuerdings Leute, wel-
    che die mehr verborgenen Zeitströmungen zu füh-
    len, seelische Organe besitzen, nach sich zieht. Die
    Reaktionäre dieser Art werden häufiger, je mehr in
    neuer Zeit der Liberalismus seinen ehemaligen Ruf,
    die Partei der Gebildeten zu sein, verliert. Vor dem
    Niedergange des Liberalismus nun, seiner Auflö-
    sung in die Pöbelherrschaft des Geldes, schrecken
    jene feiner organisierten und meist auch ästhetisie-
    renden Menschen ebenso heftig zurück, als vor dem
    Hereinbrechen der ihre Instinkte nicht weniger ver-
    letzenden reellen, handgreiflichen Pöbelherrschaft.
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    Dabei trifft sie, mit ihren Sympathien für eine vor-
    nehme, größer gesinnte Zeit, der Fluch der seltsa-
    men Ironie, daß ihre aus eben dem Liberalismus, den
    sie bekämpfen, hervorgewachsene Bildung ihnen
    nicht gestattet, an die Möglichkeit zu glauben, als
    würde sich die Welt heute, mit einer willkürlichen
    Unterbrechung ihres unvermeidlichen Entwick-
    lungsganges, auf einen einmal überwundenen Kul-
    turstand zurückführen lassen. So sind sie nichts we-
    niger als ursprüngliche, geborene Konservative. Ihr
    Verhältnis zu diesen letzteren wird vielmehr da-
    durch bezeichnet, daß sie nicht »noch«, sondern
    »aufs neue« konservativ sind.
    Unter einem ähnlichen inneren Widerspruche lei-
    det ihr Verhältnis zur Religion, da sie, ohne selbst
    durchaus gläubig zu sein, es für ihre Forderung er-
    klären, daß »dem Volke die Religion erhalten
    bleibe«. Wenn sie in letzterer allerdings eine erste
    und am letzten Ende vielleicht die einzige Stütze der
    bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse erblik-
    ken, so würden sie es doch andererseits mit Recht
    leugnen, aus bloßen Nützlichkeitsrücksichten dem
    Volke eine seelische Nahrung bewahren zu wollen,
    von der ihnen selbst bekannt wäre, daß sie verfälscht
    sei. Wohl werden sie, ihrem Bildungsgange entspre-
    chend, mehr oder weniger wissenschaftlich unter-
    richtet und überzeugt sein; aber eben die Wissen-
    schaft muß sie, je ernster sie ihr Bewußtsein ergriffen
    hat, desto eindringlicher daran erinnern, daß ihr
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    selbst die letzten, entscheidenden Fragen immer un-
    lösbar bleiben werden. Und unter den Vermutungen,
    mit welchen diese einzig beantwortet werden kön-
    nen, ist die religiöse, zu welcher sie auf solche Weise
    zurückkehren, eine so schöne und für die Mehrzahl
    der Menschen befriedigende. Vielleicht auch, daß
    viele von ihnen es zuerst an sich selbst erfahren, wie
    sehr das von der Zeit niemals abgeschwächte Be-
    dürfnis der Seele nach den Vorstellungen und Hoff-
    nungen verlangt, welche die Religion verleiht.
    Wellkamp hatte sich über alles dies niemals aus-
    drücklich Rechenschaft abgelegt. Er hatte selbst
    keine Ahnung, wie stark er innerlich an den von
    Anna berührten Gegenständen interessiert war, und
    so mußte ihn der Eifer, mit dem er auf ihre heraus-
    fordernden Bemerkungen einging, selbst überra-
    schen. Doch vermochte er das junge Mädchen durch
    ein Andeuten seiner Absichten jetzt nicht zu einer
    weiteren Darlegung der ihrigen zu veranlassen. Es
    schien ihm, daß sie ihm eine Erläuterung in

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