In einer Familie
eigene Lebensweise zur Sprache gebracht,
die Zweck- und Freudlosigkeit ihrer Tage.
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»Zuweilen«, sagte sie, »wenn ich meine Toilette
mache, was für uns Frauen, wie Sie wissen, die
eigentliche Arbeit des Tages ist, möchte ich alles bei-
seite schieben, so zwecklos kommt es mir vor. Denn
Zweck verleiht uns überhaupt erst die Gesellschaft.«
Und auf eine Bewegung des jungen Mannes:
»O, seien Sie nicht gekränkt! Aber Sie sind Bräu-
tigam und zählen nicht mit.«
»Es hängt doch ganz von Ihnen selbst ab«, schob
Wellkamp ein, der ihre letzte Bemerkung zu überhö-
ren schien.
»Glauben Sie? – Ich finde, daß ich etwas von
einem Geizhals habe, der mit al seinem Reichtum in
seinem einzigen Zimmer wohnen bleibt. Meinen Sie,
daß er sich nicht doch zuweilen nach dem Palaste
sehnt, den er bewohnen könnte? Das sind wider-
streitende Bedürfnisse; die stärkeren halten uns
fest.«
Mochten ihre Äußerungen zur Hälfte kokett sein,
so war doch wohl auch viel von wirklichem Selbst-
mitleiden darin enthalten, ihrer Natur eine vertraute
Empfindung, in deren besonderen und starken
Schauern sie bisweilen augenblickliche nervöse Be-
friedigung fand. Dem entsprach auch der Ton ihrer
Rede, welcher weniger sentimental als spöttisch und
ein wenig bitter war. Vielleicht hätte jeder nicht Vor-
eingenommene, der ihr in diesem Augenblick ge-
genüber gesessen, eine gewisse Rührung verspürt.
Es wäre für einen solchen Beschauer ein Bild von
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Blässe und Wehmut gewesen, die junge Frau in den
tiefen, gegen das Licht geschobenen Sessel ge-
schmiegt zu sehen, in ihrer Morgenrobe, deren
Farbe hel und matt war wie die der bewegungslos in
ihrem Schoße ruhenden Hände; wie ihr Gesicht,
dessen Züge ein wenig verwischt erschienen in der
geringen Beleuchtung, die aus den halbgeschlosse-
nen Fenstervorhängen darüber zu gelangen ver-
mochte, und wie ihr weiches Haar, dessen aufge-
nommene Frisur von ein paar leise spielenden Son-
nenlichtern gekrönt wurde.
Wellkamp war am allerwenigsten gegen den Zau-
ber einer solchen pastel artigen Erscheinung unemp-
findlich, aber er fühlte mit einer Art von trotziger
Genugthuung, wie es ihm gelang, den Eindruck, den
sie auf ihn machte, niederzukämpfen. Seine abweh-
rende Regung steigerte sich bis zu wirklichem Wi-
derwillen, als Dora nun in Verbindung mit ihren
halb ironischen Klagen über ihre eigene Ziel- und
Thatlosigkeit Herrn v. Grubecks Erwähnung that.
»Er hat wenigstens noch das Porzel an bis zu Ihrer
Hochzeit auszumalen, lebt also doch zu einem be-
stimmten Zweck«, sagte sie und gab dadurch seiner
lauernden Antipathie Gelegenheit, jene erste Situa-
tion, in welcher sie sein Gefühl durch eine spöttische
und leicht verächtlich machende Bemerkung auf Ko-
sten ihres Gatten beleidigt hatte, mit der jetzigen zu
vergleichen. Damals war der stumme Widerstand,
den er der aus ihren Worten herausgefühlten Intimi-
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tät entgegensetzte, berechtigt, – aber war er es heute
noch? Er vermochte hierauf nur auf die eigentümli-
che Weise zu antworten, daß er sich das Recht, jenen
Widerstand nach wie vor leisten zu dürfen, zusprach
– ohne doch davon Gebrauch machen zu können. So
offenbarten mehrere durcheinander redende Stim-
men die Unklarheit seines Innern und die Schwierig-
keit des Charakters, in dem er mittlerweile dieser
Frau gegenüberstand.
Das Gespräch fand in der Morgenstunde statt, in
welcher Anna mit ihrem Vater ihre Promenade zu
machen pflegte, und in der Wellkamp seit der ersten
Begegnung mit Frau v. Grubeck nie mehr das Haus
betreten hatte. Aber unter den peinigenden Erwä-
gungen, die sich in ihm nach dem Auftritt mit Dora,
der jener Unterredung mit seiner Braut gefolgt war,
gekreuzt hatten, war auch die Frage aufgetreten,
warum er sich jedem vorherzusehenden Alleinsein
mit der jungen Frau seither entzogen hatte. Er be-
argwöhnte sich selbst bereits so sehr, daß er in die-
ser Zurückhaltung sofort Furcht oder sogar etwas
dem Schuldgefühl Ähnliches erblickte. In dem
Trotze, sich selbst seine völlige Unbefangenheit be-
weisen zu wollen, hatte er sodann den Morgenbe-
such erneuert.
Er fuhr dennoch unmerklich zusammen, als er
nun aus dem Nebenzimmer Annas Stimme kommen
hörte. Und es half nichts, daß er sich sogleich aufs
neue ausforschte:
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»Warum erschrecke ich, da ich mir nichts vorzu-
werfen habe?«
Dora begrüßte indessen die Eintretende.
»Da Du Deinen Bräutigam
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