In einer Familie
sie
unbefangen jene Plaudereien wieder auf, die das er-
ste Mal für Wel kamp einen so verhängnisvol en Ab-
schluß gefunden hatten. Nun befand er sich sogleich
wieder unter dem Zauber ihrer Vertraulichkeit, in
der, ihr selbst sicherlich unbewußt, immer diese vage
aber unbestreitbare Überlegenheit schlummerte, die
den jungen Mann in seiner jetzigen Gemütsverfas-
sung von neuem so unsäglich heimlich und erwär-
mend berührte. Alle voraufgegangenen Störungen
dieser einzigen Stimmung waren ihm so gut wie ent-
fallen. In diesen Stunden des schweigenden,
wunschlosen, vergessenden Glückes meinte er die
Vergangenheit unwiederherstellbar abgeschlossen
zu fühlen. Und stand nicht dieser Abschluß auch
thatsächlich und sichtbar in nächster Nähe? Die
Glücklichen begannen die Tage bis zur Hochzeit zu
zählen.
»Es sind noch sechs«, sagte Anna, »wenn wir den
heutigen mitrechnen. Das brauchen wir aber nicht
mehr; also nur noch fünf.«
Wellkamp hatte einen andern Einfall.
»Weißt Du, was ich mir an unserer Reise am
schönsten vorstelle? – die Heimkehr.«
»O«, fuhr er fort, »natürlich werden wir pracht-
voll zusammen reisen – bedenke doch, wie mir, der
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ich immer allein herumgefahren bin, das vorkom-
men wird – aber ich finde, man macht sich doch dort
draußen nur müde, um sich nachher zu Hause recht
behaglich ins eigene Nest zu setzen. Das ist am Ende
der Zweck.«
Anna lachte, und ihr Lachen versicherte, daß sie
an keine Müdigkeit denke.
»Aber einen Plan, wohin wir gehen, hast Du Dir
unterdessen wohl zurechtgelegt?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Und Du hast recht«, sagte das junge Mädchen.
»Es ist besser, in der letzten Stunde irgend eine pas-
sende Richtung einzuschlagen und sich dann vom
Zufall weiterführen zu lassen. An Plan und Eintei-
lung liegt nichts und erst recht nichts an dem Ziel.
Nicht wahr? Die Ziele gehören in den Alltag, aber
das Glück ist planlos.«
Wel kamp sah sie an, vol der zärtlichen Bewunde-
rung, die wir immer aufs neue für die Liebe besitzen,
die wieder einmal genau dasjenige ausgesprochen,
was wir selbst gefühlt – oder doch nun gefühlt zu
haben meinen.
So vergingen den Verlobten die nächsten Tage halb
in träumerischem Erwarten und halb in gegenseiti-
ger Mitteilung kleiner praktischer Bemerkungen
und Wünsche, hinter deren unscheinbarem Wortlaut
so viel von der Seele hervorblickte, mit ihren Le-
bensbedürfnissen, ihren Sympathien und ihrer
Sehnsucht. Sie waren in ihren Phantasien von »künf-
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tig« gleich den Kindern, welche vor Weihnacht über
die Geschenke bestimmen, die sie erwarten.
Betreffs der Vermählungsfeierlichkeit hatte der
Major den Vorschlag gemacht, völlig unter sich zu
bleiben, und er war mit der stillen Zustimmung auf-
genommen worden, mit der in dieser kleinen Gesell-
schaft jeder den Neigungen und Eigentümlichkeiten
des Andern begegnete. Während dieser Zug bei
Anna einer natürlichen Diskretion der Seele ent-
sprang – wie überhaupt das junge Mädchen unge-
achtet ihrer Ahnung einer geistigen Überlegenheit
gesellschaftlich stets bereit war, sich den Altern un-
terzuordnen –, mochte bei den übrigen drei eine sol-
che Schonung der Eigenheiten Anderer zum Teil aus
dem Bewußtsein hervorgehen, selbst genug und
übergenug zu verbergen zu haben. Es stellen sich in
jedem Familienkreise, dessen einzelne Mitglieder
aus irgendwelchen Gründen die volle Intimität, wel-
cher alles Geschehende selbstverständlich ist, noch
nicht oder – nicht mehr besitzen, Momente ein, über
die man am klügsten unter Schweigen und mit einem
verbindlichen Lächeln hinweggeht. In dieser Weise
hatte unter anderm Herr v. Grubeck, der nach der
ersten ausweichenden Antwort, die Wellkamp auf
die Frage nach seinen Familienbeziehungen gege-
ben, den Gegenstand ruhen gelassen, die Mitteilung
aufgenommen, die der junge Mann kurz vor der
Hochzeit ihm nun dennoch über das Verhältnis zu
seinem Vater machen zu müssen meinte.
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Dann standen die Verlobten, an dem entscheiden-
den Tage, in Erwartung der feierlichen Handlung
neben einander, er etwas nervös, sie völ ig ruhig, und
nur unmerklich blässer das Gesicht, dessen matter,
wie vergoldeter Glanz sich überraschend und rei-
zend von dem schlichten weißen Kleide abhob, wel-
ches ebenso wie ihr duffes schwarzes Haar ganz mit
duftigen Orangenblüten übersäet war.
Der Major hielt sich, fortwährend bemüht,
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