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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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seine
    Bewegung unter straffer gesellschaftlicher Haltung
    zu verbergen, zur Seite seiner Gattin, die ihren ge-
    wohnten Platz eingenommen hatte. Die junge Frau
    zeigte ihre eigentümliche Halbdunkel-Schönheit in
    einer überlegen geschmackvol en Toilette von grauer
    Seide.
    Der Geistliche trat ein, ein älterer Mann, dessen
    Gesicht, unter seiner stil en Würde, nichts mehr von
    der halben Verlegenheit verriet, der jüngere Leute
    seines Standes in solchen Augenblicken unterliegen
    können, wo sie in eine kleine, feierlich vorbereitete
    Gesellschaft fremd eintreten, um sogleich eine
    Handlung vorzunehmen, welche wie keine andere in
    das Leben dieser Menschen bestimmend eingreifen
    soll.
    Hinter ihm erschien der Hauswirt, Herr Bright,
    welcher neben Herrn v. Grubeck als Trauzeuge zu
    fungieren gebeten war.
    Während des religiösen Aktes war Anna, ohne
    Bewegung, in ein stilles, halb nachdenkliches Träu-
    102
    men versunken. War es ihr doch durch ihre seelische
    Reife mehr als wohl andern an diesem Punkte er-
    möglicht, durch die Äußerlichkeiten hindurch in die
    Tiefe dieser Wandlung ihres Lebens zu sehen. Was
    sie an Möglichkeiten in diesen Minuten erblickte?
    Ach, es waren für sie – gleichviel ob sie darum be-
    dauerns- oder beneidenswert sein mochte – lauter
    Gewißheiten, glückliche Gewißheiten.
    Wel kamp, für den jede Feierlichkeit an sich etwas
    schwer Erträgliches bedeutete, verfiel nach der ner-
    vösen Erwartung jetzt stel enweise in eine Art von Be-
    täubung, aus der er alsdann mit irgend einem abson-
    derlichen Einfal wieder auffuhr. Einmal erinnerte er
    sich unvermittelt einer unbedeutenden Einzelheit an
    Doras Toilette und spürte zugleich das unbezwing-
    liche Verlangen, seine Augen so weit nach links zu
    richten, um seine Vermutung bestätigt sehen zu kön-
    nen. Dann wieder glaubte er ihren beobachtenden
    Blick auf sich gerichtet zu fühlen, ja er meinte zu un-
    terscheiden, wie derselbe zwischen ihm und seiner
    Braut hin und her wanderte. Dadurch ward plötzlich
    ein beißender, giftiger Haß gegen Frau v. Grubeck in
    ihm erregt, der kaum einem Moment anhielt; gleich
    darauf horchte er mit einer ebenso unvermittelten
    Rührung auf die Schlußworte des Redners.
    Das unruhige Spiel seiner Einfälle und Stimmun-
    gen beschränkte sich auf wenige Augenblicke. Der
    Geistliche besaß die Diskretion, seine Rede abzu-
    kürzen.
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    Unter den Hochzeitsgaben Herrn und Frau v.
    Grubecks, welche von dem Major mit künstleri-
    schem Geschmack geordnet, nun besichtigt wurden,
    stach ein kleines hölzernes, einer menschlichen Ka-
    rikatur ähnliches Götzenbild seltsam hervor, das
    Dora für Wellkamp bestimmt, und das, wie sie ihm
    mit ihrem unter der leichten Ironie so manches Rät-
    sel bergenden Lächeln sagte, ein Andenken aus ihrer
    Heimat, das Geschenk einer alten Negerin war.
    Während Wel kamp das alberne kleine Monstrum in
    der Hand hielt, fühlte er von neuem jenes jähe, tief-
    feindliche Gefühl in sich aufsteigen, das ihn noch so-
    eben während der Trauung berührt. Er empfand in
    diesem Geschenk wieder etwas Außergewöhliches
    und, in irgendwelcher Weise, etwas Lästiges. Als er
    jedoch, dicht davor, das Stückchen Holz heftig aus
    der Hand zu legen, sich auf die nötigste Höflichkeit
    besann, schlug seine Stimmung wiederum unvermit-
    telt um. Dora erschien ihm plötzlich so bemitlei-
    denswert, daß ihn der Gedanke wie ein Schauer be-
    rührte. Er sah sie auf einmal von der Höhe seines
    Glückes an; denn er hatte wie nie zuvor das Bewußt-
    sein, sich dort zu befinden und alles Vergangene
    endgiltig unter sich gelassen zu haben. Wozu sollte
    er also noch Groll hegen, welcher ihm vergangene
    Kämpfe und Leiden immer aufs neue ins Gedächtnis
    rufen mußte. Er fühlte das Bedürfnis, auf jeder Seite
    in gutem Einvernehmen und ohne irgendwo einen
    gewaltsamen Bruch zu hinterlassen, abzuschließen,
    104
    bevor er mit seiner jungen Frau die Hochzeitsreise
    antrat. Diese friedliche und halb wehmütige Stim-
    mung ergriff ihn soweit, daß es eine ausgesucht ver-
    bindliche Bewegung wurde, mit der er Frau v. Gru-
    becks Hand ergriff, um sie zu küssen.
    Das Mahl verlief sehr schweigsam, und nur zum
    Schluß war ein leises Aneinanderklingen der Gläser
    ein diskreter Ausdruck all des Unausgesprochenen,
    das jeder in sich trug an Empfindungen oder Gedan-
    ken, an Wünschen oder Besorgnissen. Wenn zwei
    Gläser zusammenklingen, kann es schwieriger sein
    als man glauben mag, herauszuhören,

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