In einer Familie
seine
Bewegung unter straffer gesellschaftlicher Haltung
zu verbergen, zur Seite seiner Gattin, die ihren ge-
wohnten Platz eingenommen hatte. Die junge Frau
zeigte ihre eigentümliche Halbdunkel-Schönheit in
einer überlegen geschmackvol en Toilette von grauer
Seide.
Der Geistliche trat ein, ein älterer Mann, dessen
Gesicht, unter seiner stil en Würde, nichts mehr von
der halben Verlegenheit verriet, der jüngere Leute
seines Standes in solchen Augenblicken unterliegen
können, wo sie in eine kleine, feierlich vorbereitete
Gesellschaft fremd eintreten, um sogleich eine
Handlung vorzunehmen, welche wie keine andere in
das Leben dieser Menschen bestimmend eingreifen
soll.
Hinter ihm erschien der Hauswirt, Herr Bright,
welcher neben Herrn v. Grubeck als Trauzeuge zu
fungieren gebeten war.
Während des religiösen Aktes war Anna, ohne
Bewegung, in ein stilles, halb nachdenkliches Träu-
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men versunken. War es ihr doch durch ihre seelische
Reife mehr als wohl andern an diesem Punkte er-
möglicht, durch die Äußerlichkeiten hindurch in die
Tiefe dieser Wandlung ihres Lebens zu sehen. Was
sie an Möglichkeiten in diesen Minuten erblickte?
Ach, es waren für sie – gleichviel ob sie darum be-
dauerns- oder beneidenswert sein mochte – lauter
Gewißheiten, glückliche Gewißheiten.
Wel kamp, für den jede Feierlichkeit an sich etwas
schwer Erträgliches bedeutete, verfiel nach der ner-
vösen Erwartung jetzt stel enweise in eine Art von Be-
täubung, aus der er alsdann mit irgend einem abson-
derlichen Einfal wieder auffuhr. Einmal erinnerte er
sich unvermittelt einer unbedeutenden Einzelheit an
Doras Toilette und spürte zugleich das unbezwing-
liche Verlangen, seine Augen so weit nach links zu
richten, um seine Vermutung bestätigt sehen zu kön-
nen. Dann wieder glaubte er ihren beobachtenden
Blick auf sich gerichtet zu fühlen, ja er meinte zu un-
terscheiden, wie derselbe zwischen ihm und seiner
Braut hin und her wanderte. Dadurch ward plötzlich
ein beißender, giftiger Haß gegen Frau v. Grubeck in
ihm erregt, der kaum einem Moment anhielt; gleich
darauf horchte er mit einer ebenso unvermittelten
Rührung auf die Schlußworte des Redners.
Das unruhige Spiel seiner Einfälle und Stimmun-
gen beschränkte sich auf wenige Augenblicke. Der
Geistliche besaß die Diskretion, seine Rede abzu-
kürzen.
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Unter den Hochzeitsgaben Herrn und Frau v.
Grubecks, welche von dem Major mit künstleri-
schem Geschmack geordnet, nun besichtigt wurden,
stach ein kleines hölzernes, einer menschlichen Ka-
rikatur ähnliches Götzenbild seltsam hervor, das
Dora für Wellkamp bestimmt, und das, wie sie ihm
mit ihrem unter der leichten Ironie so manches Rät-
sel bergenden Lächeln sagte, ein Andenken aus ihrer
Heimat, das Geschenk einer alten Negerin war.
Während Wel kamp das alberne kleine Monstrum in
der Hand hielt, fühlte er von neuem jenes jähe, tief-
feindliche Gefühl in sich aufsteigen, das ihn noch so-
eben während der Trauung berührt. Er empfand in
diesem Geschenk wieder etwas Außergewöhliches
und, in irgendwelcher Weise, etwas Lästiges. Als er
jedoch, dicht davor, das Stückchen Holz heftig aus
der Hand zu legen, sich auf die nötigste Höflichkeit
besann, schlug seine Stimmung wiederum unvermit-
telt um. Dora erschien ihm plötzlich so bemitlei-
denswert, daß ihn der Gedanke wie ein Schauer be-
rührte. Er sah sie auf einmal von der Höhe seines
Glückes an; denn er hatte wie nie zuvor das Bewußt-
sein, sich dort zu befinden und alles Vergangene
endgiltig unter sich gelassen zu haben. Wozu sollte
er also noch Groll hegen, welcher ihm vergangene
Kämpfe und Leiden immer aufs neue ins Gedächtnis
rufen mußte. Er fühlte das Bedürfnis, auf jeder Seite
in gutem Einvernehmen und ohne irgendwo einen
gewaltsamen Bruch zu hinterlassen, abzuschließen,
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bevor er mit seiner jungen Frau die Hochzeitsreise
antrat. Diese friedliche und halb wehmütige Stim-
mung ergriff ihn soweit, daß es eine ausgesucht ver-
bindliche Bewegung wurde, mit der er Frau v. Gru-
becks Hand ergriff, um sie zu küssen.
Das Mahl verlief sehr schweigsam, und nur zum
Schluß war ein leises Aneinanderklingen der Gläser
ein diskreter Ausdruck all des Unausgesprochenen,
das jeder in sich trug an Empfindungen oder Gedan-
ken, an Wünschen oder Besorgnissen. Wenn zwei
Gläser zusammenklingen, kann es schwieriger sein
als man glauben mag, herauszuhören,
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